Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

110 Kirchliche Opposition. 
zwang, Alleinherrschaft einer unduldsamen Rechtgläubigkeit 
und Bedrückung aller ihr widerstrebenden Bürger durch die 
Machtmittel der Staatsgewalt. Es erfolgten Proteste von 
der Universität Königsberg, den Magistraten von Berlin und 
von Breslau, lebhafte litterarische Verhandlungen. Inmitten 
dieser Gährung veranstaltete der Bischof von Trier eine feier- 
liche Ausstellung des sogenannten heiligen Rockes Christi, 
einer Reliquie von schreiender Unechtheit, welche jedoch eine 
Million gläubiger Beter in Trier versammelte. Darauf er- 
ließ ein katholischer Priester, Johannes Ronge, aus Schlesien 
einen offenen Brief an den Bischof, worin er eine solche 
Pflege des dummsten Aberglaubens mit heftigen Worten ver- 
urtheilte, und ein Pfarrer Czerski im Posen'schen sagte sich 
gleich nachher feierlich mit seiner Gemeinde von der römischen 
Kirche los. Etwa zwanzig andere Gemeinden folgten diesem 
Beispiel, und ihr Concil zu Leipzig verkündete die Grün- 
dung einer deutsch -katholischen Kirche mit einem freisinnigen 
Glaubensbekenntniß. Dieser Vorgang zündete auch in pro- 
testantischen Kreisen; schon etwas früher hatte sich auf An- 
regung des Pastors Uhlich und des Professors Wislicenus 
eine Anzahl freier Gemeinden unter dem Namen der Licht- 
freunde gebildet, und jetzt wurde besonders unter dem niedern 
Bürger= und Bauernstande der Beifall und der Eifer für 
eine solche Reform gewaltig. Der König aber war von tiefem 
Widerwillen erfüllt. Ohne Zweifel war sein Urtheil begründet, 
daß hier nicht wie einst bei Luther der Drang von einer ver- 
weltlichten Kirche zu einer religiösen, sondern umgekehrt die 
Wendung von dem religiösen Mysterium hinweg zu mensch- 
licher Verständigkeit vorlag. Ein solches religiös negatives 
Bestreben hätte niemals zur Gründung einer neuen Kirche
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.