Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

1848 Gährung in Berlin. 137 
entsprechenden Vorschlägen nach Wien gesandt. Unter dem 
Dröhnen der deutschen Bewegung fand er günstige Aufnahme; 
aber ehe der Antrag praktische Folgen haben konnte, wurde 
er durch die reißenden Fortschritte der Revolution vollständig 
überholt. Schwer besorgt meldete der General, daß jetzt auch 
der König von Bayern den verhängnißvollen Gedanken eines 
deutschen Parlaments genehmigt habe, und daß bei der öster- 
reichischen Regierung alle Fassung verloren sei. In Preußen 
aber war in der Rheinprovinz und in Westfalen, in Ost- 
preußen und Schlesien die Stimmung des Volkes dieselbe wie 
in den kleineren Staaten, und in Berlin entwickelte sich mit 
dem Anfange des März eine radicale Aufregung der Massen 
mit täglich anschwellender Energie. Große Volksversamm- 
lungen begannen vor der Stadt, zu Hunderten, bald zu 
Tausenden, mit feurigen Freiheitsreden und rauschenden Be- 
schlüssen; bald gab es Aufläufe in allen Straßen, Verjagung 
der einschreitenden Polizei, blutigen Streit mit dem anrücken- 
den Militär. Begreiflicher Weise hatten alle Anarchisten Europas 
ihre Aufmerksamkeit auf Berlin gerichtet; denn für ihr Streben 
war die preußische Monarchie der gefährlichste Gegner, gerade 
weil sie nicht bloß innerlich stärker, sondern auch zu Reformen 
geneigter als Osterreich war. So führten Tag für Tag die 
Eisenbahnen fremden Zuzug, besonders Rheinländer und Polen, 
in großen Haufen nach Berlin; am 15. März erschienen die 
ersten Versuche im Barrikadenbau; am 16. mußte die Truppe 
zur Freihaltung der Straßen von der Schußwaffe Gebrauch 
machen. Der König, welchem das Vergießen von Bürgerblut 
ebenso abscheulich war wie eine Demüthigung seiner Macht, 
beschloß, die Gährung durch Entgegenkommen auf nationaler 
Grundlage zu stillen. In der Nacht auf den 18. zeichnete
	        
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