Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

J. 
Wir wissen ungefähr, wann die Deutschen in ihre heutigen 
Wohnsitze gelangt und damit in das Culturleben Europas 
eingetreten sind: wann eine deutsche Nation als politisches 
Gemeinwesen zu leben und zu wirken begonnen hat, ist nicht 
so leicht zu sagen. 
In den ältesten Zeiten erscheint bei den Deutschen. keine 
Spur eines nationalen Bewußtseins. Die einzelnen kleinen 
Völkerschaften stehen bald freundlich, bald feindlich zu ein- 
ander, zersetzen sich in ihre Bestandtheile oder vereinen sich 
für den Augenblick zu größeren Massen, verschmelzen dabei 
mit Stammverwandten oder mit Stammfremden, und gehen 
wieder auseinander, wie eben die äußern Umstände es mit 
sich bringen. Festen Bestand haben nur die engsten Verbände, 
das Geschlecht, die Gemeinde, das Gefolge, wo im täglichen 
Zusammenleben das gemeinsame Interesse, die Gemeinschaft 
des Bluts und des Geschicks sich ununterbrochen der sinn— 
lichen Wahrnehmung aufdrängt. Es sind starke, eigenwillige 
Naturen, die nur mit ihres Gleichen sich vertragen, und sich 
von der kleinsten Verschiedenheit ebenso abgestoßen fühlen 
wie von der größten. Halten sie einmal in Masse zusammen, 
so sind sie jedem Widersacher überlegen, aber wie Tacitus 
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