6 Das mittelalterliche Kaiserthum.
Daseins und der Schrankenlosigkeit der politisch-kirchlichen
Ideale konnte nicht schärfer sein.
Allerdings, das karolingische Weltreich löste sich auf,
und seine deutschen Herzogthümer vereinten sich, sei es durch
die Zufälligkeit königlicher Erbtheilungen, sei es in Folge eines
unbewußten Wirkens der nationalen Verwandtschaft, zu einer
deutschen Monarchie. Kaum aber war dies geschehen, so
nahm der sächsische Otto die universalen Gedanken des großen
Karl wieder auf: die Schutzvogtei über die römische Welt-
kirche, mithin die Ergreifung der römischen Kaiserkrone und
den Anspruch auf die Oberhoheit in aller Christenheit. Drei
gewaltige Kaiserdynastien setzten ihre ganze Energie an die
Erreichung dieses Ziels, und die momentanen Erfolge des
ersten Otto, des dritten Heinrich, des ersten Friedrich haben
die Bewunderung aller nachlebenden Geschlechter an die
mächtigen Gestalten dieser eisernen Eroberer gefesselt. Aber
fast noch schneller als zur Zeit der Karolinger stürzte jedes-
mal das stolze, auf lockerem Fundament errichtete Gebäude
zusammen. Denn auch sie mußten die momentane Dienst-
willigkeit ihrer Fürsten durch immer weitere Verleihung
politischer Herrenrechte und damit immer weitere Schwächung
der Monarchie erkaufen. Zugleich aber brach im Mittel-
punkte des Systems der vernichtende Zwiespalt zwischen den
beiden Häuptern, zwischen Papst und Kaiser, aus. Die geist-
lichen und weltlichen Magnaten nahmen hüben und drüben
Partei; während zwei Jahrhunderten erschütterte der durch
Rom entzündete Bürgerkrieg Deutschland und Italien. Es
war also kein Wunder, daß Deutschland immer gleichgültiger
gegen die Herrscherpläne seiner Kaiser wurde, und die letzten
Staufer fast nur noch mit italienischen Anhängern den Kampf