Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

Innere Anarchie. Verluste nach Außen. 9 
meinen, nur für kurze Pausen unterbrochenen Anarchie. Die 
Kraft und der Eifer der Nation erschöpfte sich in der Gründung 
und Erweiterung der kleinern oder größern Herrschaften und 
Gemeinden, in welche, mehr als dreihundert an der Zahl, 
der deutsche Boden allmählich zerfiel. Hier zeigte es sich, 
was es für ein großes Volk bedeutet, wenn die Staatsgewalt, 
der Quell der Macht und des Rechts, nur noch auf solchen 
kleinen Bodensplittern zur Erscheinung kommt. Daß die 
Herren dieser Territorien durch ihre unaufhörlichen Fehden 
den materiellen Wohlstand zerstörten, war noch das geringere 
Übel: auch im Innern jeder Landschaft herrschte bei der 
Schwäche der Reichsregierung das Recht des Stärkern. Der 
Fürst, der Klerus, der Adel theilten sich in die Macht und den 
Besitz; die kleinern Städte verloren ihre selbständige Stellung, 
weit und breit im Reiche versanken die freien Bauern unter 
das Joch der Hörigkeit. Nach Außen aber vermochte das 
zerrissene Reich auf keiner Seite seine Grenzen gegen die 
Nachbarn zu decken. Ost= und Westpreußen ging an die 
lbermacht Polens verloren; Schleswig-Holstein nahm frei- 
willig den Dänenkönig zum Herrn an; die niederländischen 
Provinzen geriethen sämmtlich unter die Herrschaft des fran- 
zösischen Hauses Burgund, und die Schweizer Eidgenossen 
gehörten nur noch dem Namen nach zum Reich. Mehrere 
Menschenalter hindurch, unter Karl IV. und seinen Söhnen, 
wie unter deren habsburgischen Nachfolgern blieben alle Ver- 
suche, dem Übel zu steuern und das Reich zu constituiren, 
ohne bleibende Wirkung. Erst zur Zeit Kaiser Max's I. 
schien sich eine bessere Zukunft zu eröffnen. Unter unend- 
lichem Mühsal gelang es damals, trotz zähes Widerstrebens 
des Kaisers, eine Reihe ständischer Einrichtungen von
	        
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