Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

262 Die Nationalversammlung und die Mächte. 1848 
die Mehrheit nicht durchaus jacobinische Absichten hatte, und 
wenn man auch die Kaiserkrone nicht annehmen wollte, so 
wünschte man doch eine gründliche Bundesreform, und konnte 
nicht wohl die Männer als Feinde betrachten, welche die 
Einheit erstrebten und die Krone darboten. Graf Branden- 
burg erklärte sich völlig einverstanden, als Camphausen 
damals berichtete: im Frühling konnte es nöthig erscheinen, 
sich gegen die Allmacht des Parlaments zu stemmen; jetzt 
aber, wo das Parlament den Höhepunkt seiner Macht hinter 
sich hat, gilt es, das Parlament zu kräftigen und auf die 
Einzelstaaten zu drücken, sonst würde deren Selbstsucht jede 
deutsche Verfassung und Einheit zu Grunde richten. 
So von den entgegengesetzten Seiten in Anspruch ge- 
nommen und nicht ohne innere Berührungspunkte mit beiden, 
beschloß der König, vor jedem andern Schritte eine Verstän- 
digung mit Österreich zu versuchen, welche Macht so eben 
eine feierliche, inhaltschwere, aber auch räthselvolle Erklärung 
über ihre deutsche Stellung erlassen hatte. 
Vergegenwärtigen wir uns hier kurz die Lage der öster- 
reichischen Ländermasse und die Entwicklung derselben seit dem 
triumphirenden Einzuge des Fürsten Windischgrätz in das 
besiegte Wien. 
Trotz der Unterwerfung der Hauptstadt zeigte sich die 
Monarchie fortdauernd von den schwersten Gefahren bedroht. 
Während in den preußischen Provinzen durchgängig Ruhe 
herrschte, war hier Ungarn im Besitze der bewaffneten, von 
Kossuth mit mächtiger Energie geleiteten Revolution; in 
Italien war zwar die Lombardei wieder gewonnen, Venetien 
aber noch unbezwungen; mit Sardinien war nur ein Still- 
stand geschlossen, und der Gegner eifrig bemüht, seine Kräfte
	        
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