Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

Weltbürgerthum und Sonderthum. 25 
zwischen den hienach zu fordernden Zuständen mit der vor- 
handenen Wirklichkeit. Aber so schneidig die Kritik der Auf- 
klärung sich gegen die letztere erhob, so wenig positiven 
Gehalt wußte sie zu liefern. Wie gewisse Seiten unseres 
poetischen Aufschwunges wurde auch sie durch französischen 
Einfluß bestimmt. Gegen die Mißbräuche des bestehenden 
Staats fand sie das Heilmittel nur in der unbedingten Be- 
freiung der einzelnen Menschen, welche dann nach selb- 
ständigem Ermessen und verständigem Erwägen sich neue, der 
reinen Vernunft entsprechende Einrichtungen geben würden. 
Bei diesem unbeschränkten Individualismus war auf dem 
politischen Gebiete für die Bedeutung der Nationalität kein 
Raum. Im Gegentheil, große Geister waren der Meinung, 
daß es ein Beweis engherziger Beschränkung sei, das politische 
Bestreben in den Dienst eines einzelnen Volkes zu stellen, 
anstatt in echter Humanität das Wohl der Menschheit sich 
zur Aufgabe zu machen. 
Daneben entwickelte sich weit und breit unter den Ein- 
drücken unserer mächtig heranwachsenden Poesie eine voll- 
ständige Abwendung von den politischen Fragen und Sorgen. 
Es war ein in äußern Dingen anspruchsloses Geschlecht, 
ohne Reichthum aber in mäßigem Wohlstand, läßlich in der 
Moral aber begeistert für das Schöne, aufgehend in dem 
Drange nach idealen Gefühlen und seelischer Schwelgerei. 
In jeder Hinsicht war man geeignet, sich in den engen Zu- 
ständen der kleinen Staaten gemüthlich und bequem zurecht 
zu finden. Man hatte vielfach ein Verhältniß persönlicher 
Anhänglichkeit an seinen Fürsten; man liebte die altvertraute 
Heimath und fand es zu Hause besser als in der Fremde. 
Bei aller Bewunderung für den großen Friedrich dankte man
	        
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