Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

412 Die Krisis. 1850 
Verhältnisses zu Rußland ab. Da wurde ihm gemeldet, daß 
Kaiser Nikolaus, der nicht weniger zur Entscheidung drängte, 
seinen Kanzler, den Grafen Nesselrode, und den befähigtsten 
seiner Diplomaten, den Baron Meyendorff, nach Ischl sende, 
wo damals Franz Joseph und Schwarzenberg weilten, um 
hier die Ratification des dänischen Friedens durchzusetzen 
und für diesen Zweck zur Versöhnung mit Preußen zu 
mahnen. Der Fürst sah ihrer Ankunft jetzt mit Ruhe ent- 
gegen: verharrte Rußland bei seinen preußischen Tendenzen, 
so konnte er die Verständigung mit Preußen zum Abschluß 
bringen und brauchte dann Rußland nicht zu fürchten; gelang 
es ihm aber, die Mißstimmung Rußlands auf's Neue gegen 
Preußen zu wenden, so konnte auch er dem ihm widerwärtigen 
deutschen Nebenbuhler stolz den Rücken kehren. Zur Er- 
langung dieses Gewinns hatte er aber noch eine besondere 
Karte in seinem Spiel. 
Wir erinnern uns jener in London geführten Unter- 
handlung zwischen Rußland, England und Frankreich über 
die Feststellung einer gemeinsamen Thronfolge im dänischen 
Gesammtstaate. Sie war gleichzeitig mit dem Berliner Frieden 
herangereift, und auf dänisch-russischen Wunsch hatte Preußen 
neben seinem Vertrage einen geheimen Artikel genehmigt, durch 
welchen es das scheinbar harmlose Versprechen gab, an jener 
Unterhandlung Theil zu nehmen. Der König meinte, man 
werde dabei die Rechte der verschiedenen Prätendenten einer 
genauen Prüfung unterziehen, mit jedem Einzelnen unter- 
handeln, und dann sehen, was möglich und erreichbar sei. 
Er war also höchlich überrascht, als sein Londoner Gesandter, 
Bunsen, schon am 4. Juli eingeladen wurde, ein Protokoll 
mit zu unterzeichnen, welches vor aller Prüfung bereits den
	        
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