1850 Stellung Preußens in der kurhessischen Sache. 423
Wollte man nun trotz alledem nicht gestatten, daß
österreichische Truppen nach Holstein zögen, oder bayerische
in Kurhessen einrückten, so gab es noch einen andern Weg,
welchen schon damals einsichtige Männer für den einzig prak-
tischen unter den gegebenen Umständen erklärten ). Man
hätte die Union, deren provisorische Einrichtung binnen
wenigen Wochen ablief, auf dem Boden liegen lassen, wo sie
lag. Man hätte den Feind im eigenen Lager aufgesucht, mit
allen Unionsgenossen den Eintritt in den Bundestag voll-
zogen und hier die Leitung der Dinge ergriffen, was in
Bezug auf die schwebenden Streitfragen keine Schwierigkeit
gehabt hätte. In der holsteiner Sache wären Bayern und
Hannover zu besserem Schutze der Landesrechte sofort auf
Preußens Seite getreten. Die Execution in Kurhessen, wo
der König die Verfassung ebenso scharf wie Fürst Schwarzenberg
verurtheilte, hätten ihm die Mittelstaaten mit Vergnügen
überlassen. Ob die künftige deutsche Verfassung in freien
Conferenzen oder vom Bundestage berathen wurde, war in
der Sache beinahe gleichgültig, da in beiden Versammlungen
für jeden Beschluß Einstimmigkeit aller Staaten erforderlich
war. Genug, auf allen Seiten stand sicherer Gewinn für
Preußen bei einer solchen Wendung seiner Politik in Aussicht.
Aber wir wissen bereits, daß sie für das Gefühl des Königs
unmöglich war. Zu tief hatte ihn das eigenmächtige und
hinterhaltige Verfahren Osterreichs bei der Berufung des
Bundestags gekränkt; er sah Preußens Ehre besudelt, wenn
er nach allen Protesten jetzt sich beugte und die gesetzwidrige
1) Vgl. Max Duncker, Vier Monate auswärtiger Politik. Das
kleine Buch ist mit politischem Verstande und polemischem Talent, aber
freilich ohne Kenntniß der entscheidenden Thatsachen geschrieben.