Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

36 Erinnerung an das alte Kaiserthum. 
Lebenskraft Kaiser und Reich zu erneuern, damit vor deren 
Herrlichkeit alles Sonderthum schweigen und alle Staaten 
Europas ihr Haupt senken müßten, wie einst in den Tagen 
der alten Ottonen und Hohenstaufen. Mit solchen Hoff- 
nungen strömte, als die Stunde des Befreiungskampfes schlug, 
die Blüthe des preußischen Volkes zu den Fahnen, erfüllt 
von Gottvertrauen und Vaterlandsliebe, zu wildem Ansturm 
und zäher Ausdauer gleich bereit, durch die Kraft des natio- 
nalen Gedankens unempfindlich gegen jede Gefahr. So viel 
auch in ihren politischen Vorstellungen noch unklar und un- 
bestimmt war: sie hatten Recht in der Überzeugung, daß ihr 
Streben den echten Kern für eine neue Größe Deutschlands 
in sich schloß. 
Aber die leitenden Staatsmänner, Stein und Harden- 
berg, welche das ideale Ziel praktisch zu gestalten und die 
Erreichung anzubahnen berufen waren, sie mußten in der 
rauhen Wirklichkeit bald erleben, daß es leichter war, den 
gewaltigen Napoleon zu schlagen, als den deutschen Dualis- 
mus und Particularismus unter die Macht der nationalen 
Einheit zu beugen. 
Von jeher hatten sie, die eigne Gesinnung bei den An- 
dern voraussetzend, in vollem Vertrauen enges und frucht- 
bares Zusammengehen mit Osterreich erstrebt. Nach den 
ruhmvollen aber unglücklichen Schlachten von Lützen und 
Bautzen waren sie in der Lage, die österreichische Waffen- 
hülfe mit jedem Preise bezahlen zu müssen, und so gewann 
fortan Ssterreich die politische Leitung des Befreiungskriegs. 
Hier aber zeigte sich, wie unwiderstehlich die Ergebnisse einer 
langen Vergangenheit die Entschließungen der Gegenwart 
beherrschen. Beide Mächte waren einig in der Bekämpfung
	        
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