Sonderthum und Weltbürgerthum. 71
Bewegung vaterlandslos wird. Alles, was in unseren Landen
noch Herz und Sinn für politische Freiheit hatte, wandte
sich damals von dem Bunde und dem Bundestage, dem
einzigen Vertreter Gesammtdeutschlands, hinweg und der Ver-
fassung des heimischen Einzelstaats, als dem letzten Bollwerk
der Volksrechte, zu. Einst hatten die liberalen Parteien ge-
klagt, daß die Hoffnung auf ein mächtiges Reichsregiment
eine Täuschung gewesen: jetzt waren sie unermüdliche Ver-
fechter jener Sätze der Wiener Schlußacte geworden, daß der
Bund nur ein völkerrechtlicher Verein unabhängiger Staaten,
und zur Einmischung in die innern Landesverhältnisse gar
nicht befugt sei. Manche süddeutsche Regierung war sehr
zufrieden mit dieser Wendung; fielen ihr die Kammern auch
jetzt oft noch lästig genug, so fand sie doch, daß aus deren Ver-
handlungen sich allmählich ein ganz solider Localpatriotismus
und ein heimisches Staatsbewußtsein herausbilde, welches die
bedrohlichen Träume der Burschenschaft gründlich verscheuche.
In der That, wer mochte damals noch singen und sagen
von des deutschen Volkes Kraft und Heldenthum? Mit Be-
wunderung und Neid blickten jetzt die Sieger von 1815 auf
das besiegte Frankreich, wo unter einer freien Verfassung
glänzende parlamentarische Parteikämpfe die Aufmerksamkeit
Europas fesselten, und die Begeisterung der deutschen Jugend
entzündeten. Man konnte bedauern, daß damit manche irrige
und bedenkliche Anschauung auf den deutschen Boden ver-
pflanzt wurde: aber was half es? auch der wärmste drutsche
Patriot konnte nicht in Abrede stellen, daß die französische
Charte eine bessere Verfassung als die deutsche Bundesacte
war, und die Pariser Kammerdebatten eine anziehendere
Lectüre als die der Bundestags-Protokolle darboten — deren