362 Deutsche Reformfragen. 1860
Der Kaiser erging sich darauf länger über die Geißel
der Presse, die eine Macht geworden sei; er selbst habe sehr
wenig Gewalt über sie; man müsse sich aber hüten, daß sie
nicht, wie in England, das Land regiere. Dann bezeichnete
er die Furcht Englands vor einer französischen Invasion als
eine kindische, denn die Sache sei unmöglich. Diese Un-
möglichkeit bestritt der Prinz, da einer Dampfflotte sehr wohl
die Landung gelingen könne. Napoleon erwiderte: Landen
und Sichbehaupten ist zweierlei, und das Letztere ist un—
möglich. Er knüpfte daran die Betheuerung, er wünsche im
Gegentheil immer engere Beziehungen mit England, und er
habe deshalb den Handelsvertrag geschlossen. Es würde
sehr erfreulich sein, wenn ein solcher Vertrag auch zwischen
Frankreich und dem Zollverein zu Stande käme. Der Prinz
wies das nicht zurückt).
Napoleon's friedliche Erklärungen an die deutschen
Jürsten erfolgten denn am Morgen des 16. Juni im Ver-
laufe der fürstlichen Besuche und Gegenbesuche. Lassen Sie,
sagte ihm der König von Württemberg, Ihre Worte in allen
französischen Zeitungen publiciren. Als darauf Napoleon
sondirte, ob Preußen nicht nach Gebietserweiterung strebe,
sprach der König seine entgegengesetzte Überzeugung aus.
Auch bei dem König von Hannover fuhr der Kaiser vor,
vernahm aber, daß der König nicht zu Hause sei; der König
war in der That nicht im Hause, sondern hinter demselben
im Garten. Bei dem König von Sachsen äußerte Napoleon
den Wunsch eines Handelsvertrags, worauf ihn der König
an Preußen verwies. Es gab dann Kirchenbesuch, Promenaden,
1) Aufzeichnung des Prinzen und Flemming's nach Mittheilung
des Prinzen an Schleinitz, 16. Juni.