432 Verfassungsstreit in Berlin und Frankfurt. 1862
Beide Mächte stellten demnach am 8. März im Bundestage
den Antrag, derselbe wolle den Kurfürsten auffordern, die
Verfassung von 1831, vorbehaltlich des Wegfalls ihrer den
Bundesgesetzen widersprechenden Bestimmungen, auf's Neue in
Wirksamkeit zu setzen. Da eine Anzahl der kleinern Höfe sich
nur sehr schwer zu einem solchen Widerruf aller bisherigen
Schritte in der heillosen Sache entschloß, so zögerte sich nach
Frankfurter Brauch die Beschlußfassung über den Antrag
Wochen lang hin, so daß König Wilhelm auf den Gedanken
kam, vielleicht könne es nützlich sein, wenn er selbst sich unmittel-
bar und persönlich an den Kurfürsten wende, ihm durch einen
seiner Generaladjutanten einen eigenhändigen Brief überschicke,
ihn auf das sichere Erscheinen des beantragten Bundes-
beschlusses aufmerksam mache, und ihm vorstelle, wie trefflich
es wäre, vorher nach freier Entschließung das Erforderliche
zu bewilligen, und zugleich Männer des öffentlichen Ver-
trauens in das Ministerium zu berufen. Angedeutet sollte
in dem Briefe werden, daß Preußen unmöglich noch länger
einen Herd wachsender Gährung zwischen seinen Provinzen
dulden könne, und also bei fortdauernder Halsstarrigkeit des
Kurfürsten zu ernsten Maaßregeln im eignen Interesse ge-
zwungen sein würde. Der König ließ zunächst das Wiener
Cabinet zur Theilnahme an einem solchen Schritte einladen,
und ihm zugleich eine Liste der künftigen, in Hessen etwa
möglichen Minister vorlegen. Allein umgehend erklärte Graf
Rechberg, dies heiße zu tief in die Sonveränitätsrechte des
Kurfürsten eingreifen, und Österreich könne dabei sich um
so weniger betheiligen, als an der Spitze der übersandten
Ministerliste der Name eines ehemaligen Märzministers von
offenkundig kleindeutscher Gesinnung, des Herrn von Wintzin-