Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Dritter Band. (3)

Haltung der europäischen Mächte. 29 
Zum Unglücke Schleswig-Holsteins wurden die euro- 
päischen Mächte in der Frage von ganz andern Gesichts- 
punkten bestimmt. Die Forderung, welche ihnen zumeist am 
Herzen lag, war in geradem Gegensatze zu den Wünschen 
der Herzogthümer: die Integrität der dänischen Monarchie 
in ihrem bisherigen Besitzstande, nämlich, wie man dies seit- 
dem auszudrücken pflegte, als eines nothwendigen Elements 
des europäischen Gleichgewichts; und in dieser Auffassung 
stimmte mit dem Kaiser Nikolaus und dem Fürsten Metternich 
die englische, und in gewissem Sinne auch die preußische 
Regierung überein, so daß vom ersten Tage an das Begehren 
König Christian's in Europa sehr viel günstigere Aussichten 
hatte, als die Rechtsansprüche der Herzogthümer. Es er- 
scheint wunderlich genug, eine solche Werthschätzung der 
dänischen Integrität bei allen großen Höfen anzutreffen, 
als könnte die Frage, ob ein Kleinstaat von zwei Millionen 
Einwohnern einem oder zwei Souveränen diene, für den 
Frieden des Welttheils in das Gewicht fallen. In der That 
hatte jenes Lob der Integrität denn auch lediglich einen 
negativen Inhalt: man wünschte Fortdauer des bisherigen 
Zustandes, weil jede der Mächte von einer Anderung ver- 
schiedene Unannehmlichkeiten besorgte. England fürchtete, 
daß nach dem Verluste der Herzogthümer das verstümmelte 
Dänemark in vollständige Abhängigkeit von Rußland gerathen 
möchte: Rußland glaubte umgekehrt, daß in einem solchen 
Falle Jütland und die Inseln sich einer scandinavischen Union 
in die Arme werfen, und damit jeden russischen Einfluß in 
Kopenhagen beseitigen würden. Dem Wiener Hof erschien 
ein souveräner Staat Schleswig-Holstein als eine Verstärkung 
der preußischen Hegemonie in Norddeutschland: in Preußen
	        
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