144 Preußisches Ultimatum. 1865
jene lehnrechtlichen Controversen behandelt wurden, das in-
teressanteste Moment. Die historische Bedeutung des Vor-
gangs liegt vielmehr in der Thatsache, daß die Erörterung
durch Heffter's Inconsequenz genöthigt wurde, zu den höchsten
Principien des monarchischen Staats Stellung zu nehmen.
Das Syndicat mußte sich entscheiden, ob Staats= und Völker-
recht die höhere Autorität besitzt oder Privatfürstenrecht, ob
ein vor Jahrhunderten festgestelltes Erbrecht jedem Agnaten
ein unantastbares Personalrecht verleiht, oder ob die gesetz-
gebende Gewalt des Staats zur Einführung einer neuen
Thronfolgeordnung befugt ist, mit andern Worten, ob das
Thronrecht nach den Grundsätzen des Feudalsystems, oder
nach der englischen Auffassung der beiden letzten Jahrhunderte
zu beurtheilen ist. Die Mehrheit des Kronsyndicats nahm
hier den modernen, die Minderheit den feudalen Standpunkt.
Mit der Ansicht der Mehrheit stimmte Bismarck, der an-
geblich feudale Junker, überein; es ist auf der andern Seite
ein Zeichen der damaligen Verschiebung aller Begriffe, daß
ein großer Theil der liberalen Parteien den feudalen Sätzen
der Minderheit zujauchzte.
Urtheile man nun über den juristischen Werth des Gut-
achtens, wie man wolle, unzweifelhaft ist seine entscheidende
praktische Wirkung. Denn der König, bereits entrüstet über
das persönliche Verhalten des Erbprinzen, fand sich jetzt auch
von seinen bisherigen Rechtsbedenken befreit. Das Februar-
Programm war fortan für Preußen ein überwundener Stand-
punkt.
Die entsprechenden Maaßregeln folgten sich fortan ohne
Aufenthalt. Bismarck schrieb an Werther über die zum 6. Juli
beabsichtigte Massendemonstration und ließ ihn dem Grafen