162 Ssterreichische Ministerkrisis. 1865
tretung abzuringen? Eben sollte der Erlaß über Berufung
des ungarischen Landtags veröffentlicht werden: da bemerkte
Esterhazy dem Kaiser, daß die Unterschrift des bisherigen
ungarischen Hofkanzlers, Grafen Hermann Zichy, die gute
Stimmung der Magyaren sogleich wieder verderben würde.
Der Kaiser war einverstanden, und ernannte am 26. Juni
an Zichy's Stelle einen bewährten Altconservativen, den
Grafen Georg Mailath. Damit war die Krisis erklärt, und
am 27. reichten sämmtliche Minister mit Ausnahme des Grafen
Mensdorff und des Kriegsministers General Franck ihre Ent-
lassung ein. Der Kaiser genehmigte mit ungnädigen Worten.
Indessen führten sie provisorisch ihre Amter bis zur Ernen-
nung ihrer Nachfolger fort, und diese ließ sich noch geraume
Zeit erwarten, so daß Osterreich beinahe einen Monat hin-
durch ohne eine anerkannte Regierung war.
Allerdings blieb es nicht lange verborgen, von welcher
Hand und in welchem Sinne fortan die Geschicke des Reiches
gelenkt werden sollten. Zum Vorsitz im Ministerrath wurde
Graf Belcredi berufen, bisher Statthalter von Böhmen, ein
Staatsmann, dem im Grunde des Herzens der Zustand
Osterreichs vor dem Jahre 1848 als das höchste Ideal er-
schien, jene Zeit, wo die Reichseinheit nicht durch ein eigen-
williges Parlament, sondern durch die Armee und die Kirche
vertreten war, und jedes Kronland unter der festen Leitung
des weltlichen und geistlichen Adels sein eigenartiges Dasein
führte. Dies war nun allerdings in ganzer Vollständigkeit
nicht wohl mehr erreichbar, immer aber schien es einen Ver-
such zu lohnen, wie weit man in dieser Richtung gelangen
könne. Demnach hatte Belcredi schon während seines böhmi-
schen Amts den gefügigen Czechen geschmeichelt, die durch-