Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vierter Band. (4)

1866 Kriegseifer des Wiener Publicums. 355 
der nächsten Zukunft, in welcher ihm wichtige und folgen- 
schwere Verhandlungen mit der kaiserlichen Regierung bevor- 
ständen, anders als unter Feststellung des Gleichgewichts in 
der beiderseitigen Kriegsbereitschaft entgegen zu gehen. Von 
Verhandlungen, welche von einer Seite bewaffnet, von der 
andern in voller Entwaffnung geführt würden, könne sich 
die königliche Regierung einen gedeihlichen Erfolg nicht ver- 
sprechen. 
In Wien hatte die Mittheilung dieser Depesche am 
2. Mai keine andere Wirkung, als daß Graf Mensdorff in 
einer Entgegnung vom 4. die Verhandlungen über die beider- 
seitige Abrüstung für erschöpft erklärte, im Kriegsministerium 
aber bis zum 7, die Einberufung der Urlauber und Reservisten 
für die noch nicht auf Kriegsfuß stehenden Regimenter be- 
fohlen, und dann Tag für Tag die Anordnungen für Alles, 
was zur vollständigen Streitfähigkeit einer Armee gehört, er- 
lassen wurden. Das Wiener Publicum gab in stolzer Sieges- 
sicherheit diesen Maaßregeln geräuschvollen Beifall; die all- 
gemeine Stimmung faßte sich in dem Worte zusammen: keinen 
faulen Frieden, vorwärts nach Berlin! Die Zeitungen fast 
ohne Ausnahme strömten über von den massivsten Schmä- 
hungen gegen Preußen: nicht ein Olmütz, nein, ein Jena werde 
ihm bereitet werden. Baron Werther meldete damals, es gäbe 
in Wien nur noch drei Menschen, welche nicht vom Kriegs- 
taumel ergriffen wären: den Kaiser, den Grafen Mensdorff 
und den Grafen Moritz Esterhazy. Aber auch sie wurden 
von der Consequenz der selbstgeschaffenen Lage erfaßt und 
fortgerissen. Die Männer des Kriegsministeriums und des 
Generalstabs waren die factischen Lenker des Staats ge- 
worden; sie hofften, die Gesammtrüstung etwa um die Mitte 
23°
	        
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