108 Österreich und Frankreich. 1866
und dort den Besitzstand vor dem Kriege respectiren. Was
Deutschland beträfe, so würde Osterreich auf die Errichtung
einer Hegemonie verzichten, welche ganz Deutschland unter
eine und dieselbe Autorität stellen würde, und ohne Zustim-
mung Frankreichs keine Gebietsveränderung vornehmen, welche
das europäische Gleichgewicht zu stören geeignet wäre). Die
erste dieser beiden Clauseln schloß die deutsche Einheit unter
Osterreichs Führung aus, setzte also ein gewisses Maaß für
Preußens Demüthigung, um den bisherigen Dualismus in
Deutschland fortdauern zu lassen. Die zweite enthielt siil-
schweigend Frankreichs Genehmigung zur Erwerbung Schlesiens
durch Osterreich anstatt Venctiens, räumte Frankreich eine
entscheidende Stimme bei jeder Neugestaltung der deutschen
Verhältnisse ein, und gab eintretendes Falls dem Kaiser die
gewünschte Sicherheit französischer Compensationen.
Es war begreiflich, daß Graf Mensdorff auf einen Ver-
trag mit so viel umfassenden Forderungen neben einem An-
gebote lediglich der französischen Neutralität, nicht gleich mit
beiden Händen zugriff. Indessen war Gramont in der Lage,
unter Festhaltung der Deutschland betreffenden Sätze, auf
der italienischen Seite weitere Zugeständnisse zu machen. Wir
wissen, daß die Einheit Italiens dem französischen Minister
verhaßt, dem Kaiser wenigstens nicht erwünscht war. Er
selbst konnte nicht füglich mehr dagegen auftreten, aber unter
gewissen Voraussetzungen war er bereit, ÖOsterreichs Be-
kämpfung derselben freie Bahn zu lassen. Während also am
5. Mai Napolcon dem italienischen Minister die bedingungs-
1) Vgl. über die Verhandlung Gramont, I’Allemagne naurelle,
1/. 279, über den Inhalt des Vertrags Rothan, 1. c. p. 169 ff., und
in näherer Ausführung Hansen, coulisses de la diplomatie, p. 106. ff.