1865 Buntes Durcheinander der Ansichten in Deutschland. 55
leitende Minister, Herr von Roggenbach, noch vor zwei Jahren
einer der Führer der kleindeutschen Partei, hatte sich in der
vorliegenden Frage durch die voreilige Anerkennung Herzog
Friedrich's VIII. die Hände gebunden, und erklärte, Preußen
Jegliches zu bewilligen, nur nicht die Annexion.
Je bunter dieses Gewirre verschiedener Auffassungen
und Bestrebungen war, desto stärker wurde die Spannung,
endlich bestimmt zu erfahren, was denn Preußen für sich
begehre. Ich will gerne, sagte Pfordten, auf das Einver-
nehmen der Großmächte warten, aber alle Geduld hat ihre
Grenzen; am 4. April tritt der bayerische Landtag zu-
sammen, und wenn ich diesem nicht eine Action zu Gunsten
Schleswig-Holsteins vorlegen kann, so bin ich ein verlorener
Mann.
Völlig gereizt aber wurde durch Preußens langes
Schweigen die Stimmung in Wien; man fing an, nach so
warmen und wiederholten Aufforderungen zum Reden, beinahe
eine Beleidigung darin zu sehen, daß die preußischen Fach-
minister sich für ihre Arbeiten so bedächtig Zeit nahmen.
Dazwischen kamen ärgerliche Verhandlungen anderer Art, als
zuerst eine Wiener Zeitung und dann ein subventionirtes
Pariser Blatt ausführliche und genaue Mittheilungen aus
den zwischen Wien und Berlin gewechselten Depeschen brachten.
Bismarck erhob sehr nachdrückliche Beschwerde über eine
solche Indiscretion, und Mensdorff wußte dem preußischen
Gesandten darauf nichts Anderes zu erwidern, als daß er
nicht den geringsten Einfluß auf das unter Schmerling's
Leitung stehende Preßbureau habe. Für die Zukunft ver-
sprach er übrigens das Mögliche zu thun; leider zeigte aber
eine stets wiederkehrende Erfahrung, daß auf diesem Gebiete