220 Kriegsbriefe 1915
das ist ein Methodenfehler. Wenn aber die zwei Augen einmal unter dem
Durchschnitt sein sollten, so ist es schlimm. Die Idee, über das preußische
Staatsministerium zu regieren, geht nicht. Gesetzt den andern Fall, ich
käme hier mit Reformen, so würde man mit Recht sagen, was geht Sie das
an? Und ich würde bei allen um den Kaiser herum angeschwärzt, meine
schwierige Stellung noch unmöglicher, und ich würde gar nichts erreichen
können. Da müßte es noch viel schlimmer kommen. Wenn der Krieg lang-
sam versumpfte und einschliefe, wie Jagow glaubt, so wäre es aus mit
Deutschlands Weltstellung ·
Charleville, 18. XI.
Also wie ich mir dachte, bin ich gestern „gekreuzigt“ worden und obendrein
Erster Klasse. Freude hatte ich gar nicht daran, was wäre ich unter anderen
Umständen stolz darauf. Ich konnte mich auch nicht enthalten, S. M. zu sagen,
das wäre doch gar nicht verdient, worauf S. M. meinte, wir hier in Charleville
hätten es ja alle nicht verdient. Ich dachte mit Caprivi, „die Orden kommen
mit dem Alter wie die Kinderkrankheiten.“ Wie habe ich nach 1870 jeden be-
neidet, der das Kreuz sich verdient hatte, und jetzt mag ich es gar nicht
tragen, denn ich glaube nicht, daß unsere Flotte etwas macht, und wenn sie
dazu kommt, wird es ungeschickt.
Charleville, 10. XI.
Wir müssen uns darüber klar werden: will England den Krieg aufs Messer
gegen uns oder nicht? Kommt man zu der Uberzeugung, daß es rücksichtslos
auf unsere Verni ichtung ausgeht, dann müssen auch wir schonungslos das
Messer gebrauchen, wenn man an sein Volk glaubt und man nicht ein Ver-
brechen an seiner Zukunft begehen will.
Charleville, 31. XII.
Das furchtbare Jahr 1914 geht zur Rüste, und was wird das Jahr 1915
bringen an Hoffnungen und Enttäuschungen! Ich kann mich der Befürchtung
nicht erwehren, daß beim Friedensschluß unser Volk nach den ungeheuersten
Anstrengungen und Leistungen ebenso enttäuscht sein wird über die Resultate,
wie vor 100 Jahren. Ich will aber schon zufrieden sein, wenn wir nur die
Tähigkeit, besser die Möglichkeit behalten, uns wieder in die Höhe zu arbeiten.
Solange ich lebe, wird Schmalhans Küchenmeister bleiben, ich meine das
nicht für uns, sondern für unser ganzes Volk.
Charleville, 1. I. 1915
Heute Kirche, Predigt etwas sehr rhetorisch und mir kaum etwas gebend.
S. M. mich gnädig begrüßt, nachher auf der dreckigen Chaussee nach Hirson
Vorbeimarsch der Landwehr, Landstürmer und der Stabswache, ich glaube
gewiß 5000 Mann. Dann war Hauptquartier und Offizierkorps aufgebaut,
und S. M. sprach mit jeder Gruppe etwas.
Über U.s Brief schreibe ich wohl noch. Er irrt sich aber. Es ist eine feste
Stuckmauer um den Kaiser herum, durch die ich nicht hindurchkomme, ganz