Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Bei Bismarck 63 
ungeheuren Leben, das sich dort seit der nachbismarckischen Zeit ent- 
wickelt hatte, an das gemächliche, von den Engländern beherrschte alte 
Hamburg zurückdachte. 
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Nachdem wir zwei Stunden am Tisch gesessen hatten, forderte der 
Fürst mich auf, mit ihm durch den Sachsenwald zu fahren. Nachmit- 
tagsruhe hielt er nicht. Im Wagen rechts und links standen große 
Flaschen Bier; die wurden aufgezogen und getrunken; mit seiner Kraft- 
natur mitzukommen, war nicht eben leicht. Um vor dem Kutscher freiweg 
zu sprechen, bediente sich der Fürst einer fremden Sprache und, wie in 
ihm gartgefühl neben Gewaltsamkeit lebte, so wählte er das Englische, 
von dem er annahm, daß es mir als Seemann am geläufigsten wäre, 
und das er vorzüglich sprach. Er äußerte sich über den Kaiser schonungs- 
los, nahm es mir aber nicht übel, wie ich gegen seine starken Aus- 
drücke einwandte, als Offizier hätte ich für den Kaiser einzutreten. Er 
erzählte, wie die Kaiserin Augusta 1848 auf die Abdankung des Königs 
und den Thronverzicht des Prinzen von Preußen hinarbeitete, und wie 
er als Führer der Rechten in der Kammer dem Abgeordneten v. Vincke, 
der ihm im Auftrag der Prinzeß eine Regentschaft der Prinzessin Augusta 
für den Prinzen Friedrich Wilhelm vorschlug, zur Antwort gab, er 
würde auf einen solchen Antrag hin beantragen, den Antragsteller zu 
verhaften; wie dann die Prinzeß noch einmal mit ihm in Potsdam ge- 
sprochen und ihm, wobei sie heftig auf die Schenkel klopfte, erklärte, 
es käme ihr nur auf ihren Sohn an, und wie dieser letztere, im Flur 
hinter einer Nische wartend, weinend und mit ausgestreckten Händen 
auf ihn zugegangen sei. Von Kaiser Friedrich sprach er mit Zuneigung; 
er hätte trotz der Kaiserin Viktoria auch während der Krankheitszeit 
dem Kanzler noch die Stange gehalten. — Dem Kaiser möchte ich 
sagen: er wünsche nichts anderes als allein gelassen zu werden (to be 
let alone) und in Frieden zu sterben. Seine Aufgabe sei getan, es gebe 
für ihn keine Zukunft und keine Hoffnungen mehr. 
Wir fuhren zwei Stunden, trotz zeitweiligem Regen ohne Verdeck; 
der Fürst rauchte die Pfeife. Er erzählte von seiner früheren Jagd- 
leidenschaft, wie er einst hundert Meilen fahren konnte, um einen 
Bock zu schießen, und wie er jetzt als gebrochener Mann das Wild 
nur noch zu sehen liebte und es nicht mehr über sich gewönne, dem
	        
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