Full text: Auswahl für das Feld.

läßt, gewinnt in dem Selbstgefühle, in der lebendigen, praktischen 
Vaterlandsliebe der Bürger sittliche Kräfte, welche ein alleinherr— 
schendes Staatsbeamtentum niemals entfesseln kann. — Sicher— 
lich, diese Erkenntnis war eine bedeutsame Vertiefung unserer Frei- 
heitsbegriffe, aber sie enthielt keineswegs die ganze Wahrheit. 
Denn fragen wir, wo dies Selfgovernment aller kleinen örtlichen 
Kreise besteht, so entdecken wir mit Erstaunen, daß die zahlreichen 
kleinen Stämme der Türkei sich dieses Segens in hohem Maße 
erfreuen. Sie zahlen ihre Steuern, im übrigen leben sie ihrer 
Neigung, hüten ihre Schweine, jagen, schlagen sich gegenseitig tot 
und befinden sich vortrefflich dabei — bis plötzlich einmal der 
Pascha unter das Völkchen fährt und durch Pfählen und Säcken 
handgreiflich erweist, daß die Selbstregierung der Gemeinden ein 
Traum ist, wenn nicht die oberste Staatsgewalt innerhalb fester 
gesetzlicher Schranken wirkt. 
So gelangen wir endlich zu der Einsicht: die politische Freiheit 
ist nicht, wie die Napoleons sagen, eine Zierde, die man dem 
vollendeten Staatsbau wie eine goldene Kuppel aufsetzen mag, 
sie muß den ganzen Staat durchdringen und beseelen. Sie ist 
ein tiefsinniges, umfassendes, wohlzusammenhängendes System poli- 
tischer Rechte, das keine Lücke duldet. Kein Parlament ohne freie 
Gemeinden, diese nicht ohne jenes, und beide nicht auf die Dauer, 
wenn nicht auch die Mittelglieder zwischen der Spitze des Staates 
und den Gemeinden, die Kreise und Bezirke, verwaltet werden 
unter Zuziehung der Selbsttätigkeit unabhängiger Bürger. Diese 
Lücken empfinden wir Deutschen seit langem schmerzlich und machen 
soeben die ersten bescheidenen Versuche, sie auszufüllen. 
Doch ein Staat, beherrscht von einer durch die Mehrheit des 
Volkes getragenen Regierung, mit einem Parlamente, mit unab- 
hängigen Gerichten, mit Kreisen und Gemeinden, die sich selber 
verwalten, ist mit alledem noch nicht frei. Er muß seinem Wir- 
ken eine Schranke setzen, er muß anerkennen: es gibt persönliche 
Güter, so hoch und unantastbar, daß der Staat sie nimmer sich 
unterwerfen darf. Spotte man nicht allzudreist über die Grund- 
15
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.