Die Romantiker fühlten, daß die klassischen Ideale das innerste
Leben unseres Volkes nicht vollständig wiedergaben; sie suchten
nach neuen Stoffen, durchstreiften als wagelustige Konquistadoren
die weite Welt, bis zu der Wiege der Menschheit in Indien, bis
zu den stillen Naturvölkern in den vergessenen Winkeln der Erde.
Uberall wo nur die Allerzeugerin Poesie in Sprache, Kunst und
Religion sich entfaltet hatte, suchte man sie auf und strebte ihre
Offenbarungen dem deutschen Genius zu vermählen: wie einst die
Römer die Götterbilder der Unterworfenen in ihrem Pantheon
aufstellten, so sollte das neue Herrschervolk im Reiche des Geistes,
das alle anderen Nationen zu durchschauen und zu überschauen
meinte, die Dichtungen aller Länder in getreuen Nachbildungen
sich zu eigen machen. Der feine Formensinn und die sinnige weibliche
Empfänglichkeit A. W. Schlegels brachten die deutsche Ubersetzer-
kunst zur Blüte. Rasch nacheinander erschienen Shakespeare, Cer-
vantes, Calderon, eine Menge anderer glücklicher Ubersetzungen.
Die deutsche Poesie zeigte sich jeder noch so fremdartigen Aufgabe
gewachsen, ja sie lief schon Gefahr einer virtuosen Formenspielerei
zu verfallen, die ihrem innersten Wesen widersprach: denn in allen
ihren großen Zeiten hatten die Germanen den Inhalt höher ge-
schätzt als die Form. Aber einen unschätzbaren, bleibenden Gewinn
brachten die kühnen Entdeckerfahrten der Romantiker: in ihrem
Kreise zuerst erwachte der historische Sinn, der dem philosophischen
Jahrhundert immer fremd geblieben. In seinen literarhistorischen
Vorlesungen führte A. W. Schlegel, an Herders Ahnungen an-
knüpfend, den großen Gedanken durch, daß die Kunst im natio-
nalen Boden wurzele, daß jedes Volkes Sprache, Religion und
Dichtung als ein notwendiges Werden, als die Entfaltung des
Volksgeistes zu verstehen sei. So ward der Grund gelegt, auf
dem sich dereinst der stolze Bau der vergleichenden Sprachforschung,
der Literatur= und Kunstgeschichte erheben sollte.
Und eben dieses Schweifen in die Ferne führte die Romantiker
wieder zur Heimat zurück. Da sie überall in der Geschichte nach
dem Volkstümlichen und Ursprünglichen suchten, so gelangten sie
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