endlich auf seltsamen Umwegen zu der Frage: wie sich denn dies
neue deutsche Volk gebildet habe? Sie faßten sich das Herz dem
vaterländischen Altertume wieder ins Gesicht zu schauen, und es
erschien dem neuen Geschlechte zuerst so fremd, wie dem Manne
sein eigenes Knabenbildnis. Die Deutschen entdeckten mit freudiger
Beschämung, wie lächerlich wenig sie doch von dem Reichtum des
eigenen Landes gekannt hatten. Die verrufene finstere Nacht des
Mittelalters leuchtete wieder in freudigem Glanze. Ein farben-
reiches Gewimmel fremdartiger Gestalten, Mönche und Minne-
sänger, heilige Frauen und Gottesstreiter, bewegte sich vor den
entzückten Blicken; die Stauferkaiser, deren Name kaum noch in
Schwaben dem Volke bekannt war, erschienen wieder als die ritter-
lichen Helden der Nation. Der Händler auf den Jahrmärkten,
der die Löschpapierausgaben alter Volksbücher für den kleinen
Mann feilbot, setzte seine Ware jetzt zuweilen auch an gelehrte
Herren ab. Die vornehmen Leute horchten auf, wenn die Magd
den Kindern Märchen erzählte, und unter den Eingeweihten ging
die Rede, daß in den Mythen des altgermanischen Heidentums
noch ein unerschöpflicher Schatz gemütvollen Tiefsinns verborgen
liege. Johannes Müller gab in seiner Schweizergeschichte zum ersten
Male eine ausführliche Schilderung mittelalterlichen Lebens, die
trotz ihrer geschraubten und gesuchten Rhetorik doch tief und lebendig
war und eine Menge neuer Gesichtspunkte aufstellte; er war es
auch, der zuerst auf die heldenhafte Großheit des Nibelungenliedes
hinwies. Im Jahre 1803 erschien Tiecks Sammlung der deut-
schen Minnelieder. Drei Jahre darauf ließ Schenkendorf seinen
Hilferuf erschallen gegen die Nützlichkeitsbarbaren, die sich an dem
altehrwürdigen Hochmeisterschlosse zu Marienburg vergreifen wollten;
die vielverspottete Gotik wurde jetzt unter dem Namen der alt-
deutschen Baukunst gepriesen.
So begann von allen Seiten her die Einkehr in das deutsche
Leben; ein großer Umschwung kündigte sich an, der bald nachher
durch den Druck des fremden Joches, durch das Erwachen des
Nationalhasses beschleunigt wurde. Die ästhetische Freude am
260