So war dem kräftigen Manne doch gelungen, das Echte seines
Wesens der Mitwelt zu offenbaren, und auch sein letztes Werk
gab ein Zeugnis von der Läuterung dieses Geistes. Er nahm
die Fabel des Schillerschen Demetrius wieder auf; doch Schillers
Drama einfach fortzusetzen kam ihm nicht bei: „ich könnte ebenso—
gut da zu lieben anfangen, wo ein anderer aufgehört hat“. In
seinen jungen Jahren wäre ihm unzweifelhaft der verzwickte Charakter
eines tugendhaften Betrügers ein reizender Vorwurf gewesen; jetzt
stand er anders zu den sittlichen Fragen. Sein Sinn war jetzt
so ganz auf das einfach Edle gerichtet, er empfand so lebhaft die
Gemeinheit, die in jedem Betrüger liegt, daß ihm sogar Schillers
Idealismus nicht mehr genügte. Schiller wäre, erklärte er oft,
mit seinem Betrüger nicht zu Ende gekommen. Er faßte den
Demetrius als den Betrogenen, der erst ganz zuletzt, da er nicht
mehr zurück kann, seine eigene Schuld erfährt, und stellte den Usur-
pator so rein und edel hin, daß ich fast zweifle, ob nicht das voll-
endete Werk an dramatischem Interesse ebensoviel verloren hätte,
als der Held an Tugend gewann. Hebbels realistischer Sinn zeigt
sich diesmal nur in der drastischen Schilderung des slawischen Volks-
lebens, die unser deutsches Gefühl fremdartig berührt. Uberhaupt
liegt über dem tief durchdachten Werke eine seltsame Kälte; unter den
vielen, welche sich an dieser erhabenen Schicksalstragödie versucht
haben, reicht keiner an Schillers feurige schwungvolle Weise heran.
Das Gedicht abzuschließen war dem Dichter nicht vergönnt. Eben
jetzt begann die Welt dem lange Verkannten zu danken, da warf
ihn eine tödliche Krankheit nieder. Er hörte noch auf dem Kranken-
bette, seinen Nibelungen sei der große Berliner Dramenpreis zu-
erkannt worden. Die Antwort, die er dem Boten gab, ist wie
der letzte Pinselstrich zu dem Charakterbilde des düsteren schwer
kämpfenden Mannes, der die helle Lust am Leben niemals ganz
gekostet hat. Er sagte trüb: „Das ist Menschenlos. Bald fehlt
uns der Wein, bald fehlt uns der Becher“. —
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.