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das Reich auch als zusammengesetzter Staat und trotz aller Decentrali-
sation bis zum Zusammenbruche stetsein Staat mit monarchischer Spitze.
Nicht weil es an einer solchen fehlte, sondern weil sie zu schwach ge-
worden war, um wirken zu können, fiel das Reich in Trümmer.')
III. Wie schon angedeutet wurde, erlangte das Interregnum für
Deutschland erhöhte Bedeutung in dem Augenblicke, in dem die
Wahlmonarchie als die Staatsform des Reichs verfassungsmässig ge-
sichert war.?2) Sobald es Rechtens war, dass der deutsche König
allein durch die Wahl der Kurfürsten, nicht nach Erbrecht die
Krone empfing, war auch das Interregnum eine verfassungsgesetz-
liche Nothwendigkeit geworden: zwischen dem Wegfalle des Königs
und der Krönung seines Nachfolgers musste der Regel nach ein
Zwischenraum ohne König liegen. Es war sonach eine innere Noth-
wendigkeit, dass der völlige Ausbau der Wahlmonarchie zugleich
auch die Gestaltung fester Rechtssätze über das Interregnum, über
den zeitweiligen Ersatz des weggefallenen Herrschers, über die Per-
sonen, die diesen Ersatz zu leisten berechtigt und verpflichtet waren,
und über Umfang und Inhalt ihrer Rechte während ihrer Geschäfts-
führung mit sich brachte. Deshalb war auch das erste grosse Staats-
grundgesetz, welches das Wahlprinzip für alle künftigen Zeiten zum
Grund- und Eckstein des deutschen Verfassungsbaues setzte, die
goldene Bulle, gleichzeitig das erste Reichsgesetz, das für das Inter-
regnum und für die Reichsverwesung während der Zeit der Thron-
erledigung einigermassen erschöpfende Vorsorge traf. Allein, wie
wir wissen, dass die goldene Bulle das Wahlrecht nicht einführte,
sondern dessen schon errungenen Sieg über das Erbrecht zur gesetz-
lichen Gewissheit machte, so dürfen wir auch mit Sicherheit annehmen,
dass das, was sie über Interregnum und Reichsvikariat bestimmte,
nicht einer reinen gesetzgeberischen Initiative entsprang, vielmehr
das Ergebniss einer weiter zurückreichenden geschichtlichen Ent-
wicklung war. Denn Interregna hatte es ja auch vor der goldenen
Bulle genug gegeben, und die Lücke, die in jedem einzelnen durch
des Königs Tod entstanden, war doch sicherlich in irgend einer Art,
wenn auch unvollkommen, ausgefüllt worden.
1) Im Wesentlichen gleich Bei, Theorie der Staatenverbindungen, S. 119. 127,
und, wenngleich nicht ganz konsequent, SchuLze, Deutsches Staatsrecht, I. S. 50 ff.
S. auch HazBeruin, Handbuch des teutschen Staatsrechts I. S. 125—155, insbes.
S. 152 (leider ohne Verständniss für das Wesen des zusammengesetzten Staates)
und Leıst, Lehrbuch des teutschen Staatsrechts S. 54. 61.
2) Zoerrr 1. S. 167.