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Wir finden deshalb seit der Karolingerzeit bis zur goldenen
Bulle immer noch eine ganze Reihe von Zwischenreichen, nämlich vom
23. Dezember 918 bis 14. April 919, vom 2. Juli bis 8. August 936, vom
7. bis 24. Dezember 983, vom 23. Januar bis 6. Juni 1002, vom 13. Juli
bis 8. September 1024, vom 23. Mai bis 13. September 1125, vom
3. Dezember 1137 bis 13. März 1138, vom 15. Februar bis 9. März 1152,
vom 15. Juli 1291 bis 1. Juli 1292, im Jahre 1298'), vom 1. Mai 1308
bis 6. Januar 1309, vom 24. August 1313 bis 25. November 1314.
Dass dartiber, wer in diesen Zwischenreichen zur Reichsver-
wesung berechtigt gewesen sei, nicht von vornherein ein fester Rechts-
satz bestanden habe, das lässt sich nicht nur daraus erkennen, dass
auf das Reichsvikariat von den verschiedensten Seiten, ja fast von
jedem Personenkreise Anspruch erhoben wurde, der in jenen Jahr-
hunderten eine führende politische Rolle spielte — von den Grossen
des Reichs, der Geistlichkeit, der Kurie —, sondern auch daraus, dass
thatsächlich die Reichsverwaltung während der Thronvakanz zu ver-
schiedenen Zeiten von sehr verschiedenen Personen geführt worden
ist. Einmal wird uns von einer Frau berichtet, die, wenn auch mit
Unterstützung männlicher Verwandter, die Zügel des Reichsregiments
ergriffen hat: nach Heinrichs II. Tode nahm sich die Wittwe Kunigunde
mit ihren Brüdern, dem Bischof Dietrich von Metz und dem Herzog
Heinrich von Bayern, unter willigem Gehorsam der Grossen der Re-
gierung an.?) Nach dem Aussterben der salischen Kaiser traten die
bei der Bestattung Heinrichs V. anwesenden geistlichen und weltlichen
Fürsten, vor Allen die Erzbischöfe von Mainz und Köln, der Herzog
von Bayern und der Pfalzgraf bei Rhein zusammen und forderten eine
Anzahl von Reichsständen in dringendstem Tone zur Wahrung des
1) Ich wage hier nicht bestimmt ein Interregnum zu behaupten. Albrecht
wurde noch bei Lebzeiten Adolfs von Nassau am 24. Juni 1298 gewählt. Adolf
verlor Schlacht und Leben bei Göllheim am 2. Juli, und am 27. Juli fand eine
zweite Wahl, am 24. August die Krönung Albrechts statt. Es fragt sich hier
eben, ob die Kurfürsten ein Absetzungsrecht hatten, und ob sonach die erste
Wahl rechtsgiltig war. S. darüber unten S. 31 und Harnack, Das Kurfürsten-
collegium bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. S, 77. 111£.
2) Wipo c.1(MG. SS. XI. 256). -— Die früher häufig vorkommende Behauptung,
es habe auch Mathildis, Heinrichs V. Wittwe, im Jahre 1125 zusammen mit Herzog
Friedrich von Schwaben die Reichsverwesung besorgt (vgl. v. ABELE, Versuch
über das teutsche Staatsrecht während eines Zwischenreichs S. 42; v. SARTORI,
Reichsvikariatisches Staatsrecht S. II), beruht wohl auf einer irrthümlichen Aus-
legung der Berichte über Heinrichs Tod und letzten Willen; vgl. Ekkehard
chron. a. 1125 (MG. SS. VI. 264). S. auch das im Text Folgende.