— 1 —
Kaisers Stelle sie vertreten, sei es dass man sich sogar, wie HAEBER-
LIN !), zu der Auffassung verstieg, sie regierten als Stellvertreter eines
künftigen Monarchen. Die seltsamste und widerspruchsvollste Kon-
struktion liefert ein sächsischer Publizist?2), welcher behauptet, die
Vikare seien „im Grunde wirklich nichts anderes als einstweilige
Monarchen, welche die Stelle des römisch-deutschen Kaisers allent-
halben vertreten“. Mit Unrecht wurde der Wortlaut der goldenen
Bulle (V. 1.) im Sinne der Theorie der Stellvertretung des zukünftigen
Königs gedeutet. Denn wenn es heisst:
Quotiens .... sacrum vacare continget imperium, illustris comes
palatinus Reni.....admanus futuri regisRomanorum...
esse debet provisor ipsius imperii,
so soll in den Worten „ad manus“ nicht mehr als eine lediglich
temporale Begrenzung der Geschäftsführung des Reiches bis zu dem
Punkte, wo diese in die Hände des neugewählten Monarchen tber-
geht, verstanden werden?), wie denn die goldene Bulle selbst aus-
drücklich von einer Thätigkeit der Verweser vice et nomine im-
perii, nicht imperatoris spricht (V. 1; s. oben S. 37). Auch ist
die seit Karl V. übliche Bestätigung der Vikariatshandlungen in der
Wahlkapitulation des neuen Kaisers‘), aus der man allenfalls ein
Argument für eine Stellvertretung desselben durch die Vikare zu ent-
nehmen versucht sein könnte, nichts als eine leere, durchaus unnöthige
Formalität gewesen.’)
3. Sind die Reichsvikare also weder Träger der Staatsgewalt,
noch Stellvertreter eines Inhabers der Staatsgewalt oder Regenten
in dessen Namen, so erscheint als die einzig mögliche Konstruktion
des Inhaltes ihres Rechtes die folgende: sie sind verfassungs-
mässige Organe des Staates, berufen zur Ausübungeiner
an kein menschliches Subjekt geknüpften Staatsgewalt:
sie sind provisores, vicarii imperii.®) Sie sind die dem Staate, der
1) Handbuch III. S. 606.
2) v. Römer, Staatsrecht des Churfürstentbums Sachsen I. S. 326.
3) Vgl. Moser, Teutsches Staatsr. VIII. S. 179f.; v. SARToRI, S. 229.
4) Karl V.a. XXVI; Matthias a. XXXV; Ferdinand Il. a. XXXVI; Leopold II.
a. III, $ 18.
5) v. ABELR S. 173ff.; GoEnNER (S. 168 f.) nennt sie eine „blosse Vorsicht“.
6) „Vormünder des Reichs“ nennt sie REGEL, de vicariatu Saxon. 8. 4.
GunprLins, Erläuterung der güldenen Bulle, S. 512 bemerkt richtig, dass der im
Gesetz gewählte Ausdruck provisores imperii angemessener sei, als vicarii impecrii;
denn vicarius bedeute den Stellvertreter eines am Leben befindlichen Berechtigten,
provisor aber den Verwalter desjenigen, was zur Zeit keinen Herrn habe.