Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

269. Luther auf der Wartburg. 327 
schlichte Antwort begehren, so will ich eine solche geben, 
die weder Hörner noch Zähne hat, dermalsen: Es sei denn, 
dass ich durch Zeugniss der heiligen Schrift oder mit klaren 
und hellen Gründen überwunden werde, kann und mag ich 
nicht widerrufen, weil weder sicher noch gerathen ist, etwas 
wider das Gewissen zu thun. Hier stehe ich, ich kann 
nicht anders, Gott helfe mir! Amen!“ 
Zu Tausenden drängte sich das Volk auf seinem Heimwege 
herzu, den Vielgeliebten und Vielgehassten zu sehen. Viele 
Ritter und einige Fürsten kamen noch am Abend in seine Her- 
berge, ihm die Hand zu schütteln. Der alte Herzog Erich von 
Braunschweig schickte ähm einen silbernen Krug voll Eimbecker 
Bier. Luther fragte, von wem es sei. Der Edelknabe er- 
widerte, Herzog Erich habe selbst daraus getrunken, er möge 
sich nichts Böses versehen. Da trank Luther und sprach: 
„Wie Herzog Erich meiner gedacht hat, also gedenke der 
Herr Christus seiner in seinem letzten Stündlein.“ 
Der pästliche Legat forderte, dass man Luther wie Huss 
behandle, auch ihm kein freies Geleit gebe; aber Kaiser Karl 
sprach: „Und wenn alle Welt lügt, so soll doch der deutsche 
Kaiser Treue und Glauben halten.“" Luther trat seine Rück- 
reise an. Nach vier Wochen wurde über ihn die Reichsacht 
ausgesprochen. Die Achtserklärung war von dem päpstlichen 
Legaten verfasst. 
269. Luther auf der Wartburg. 
Kurfürst Friedrichder Weise war um das Schicksal Luthers 
besorgt; mit seiner Macht konnte er diesen nicht gegen das 
kaiserliche Edikt schützen. Da verfiel er auf eine List. 
Während Luther auf der Heimreise, nachdem er bei seinem 
Bruder Jakob in Möra bei Eisleben übernachtet, be- 
gleitet von diesem und dem Superintendenten Amsdorf 
von Magdeburg, in einem Wägelchen am 4. Mai 1521 durch 
einen Hohlweg im Walde bei Waltershausen in heiterer 
Stimmung seine Straße zog, brachen plötzlich fünf verkappte 
Ritter aus dem Dickicht hervor, hoben ihn aus dem Wagen, 
setzten ihn auf ein Pferd und sprengten mit ihm von dannen. 
Sie brachten ihn, Abends 11 Uhr, als einen gefangenen 
Edelmann nach dem hohen Bergschlosse Wartburg bei 
Eisenach. Dort lebte er nun unerkannt als Junker Jörg, 
und weder Freunde noch Feinde wußten seinen Aufenthalts- 
ort; aber daß er noch lebe, erfuhren sie durch Briefe und 
mancherlei erbauliche Schriften, die er von seinem „Patmos“ 
ausgehen ließ. Doch die köstlichste Frucht seiner unfreiwilligen
	        
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