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Heute ist das Kollegium so gut wie einig in der Richtung ausgesprochener
Mittelstandspolitik. Gegensätze mehr persönlicher Art bestehen zwischen der
herrschenden Reformpartei einerseits und der konservativen Minderheits—
gruppe sowie der Hausbesitzergruppe anderseits.
Die Bedeutung der Stadtverordneten liegt in drei Richtungen. Ihr
Kollegium ist dem Rate gegenüber Parlament. Sie nehmen in den Aus-
schüssen unmittelbaren weitgehenden Anteil an der städtischen Verwaltung.
Sie wählen das eigentliche Verwaltungsorgan, den Rat. Dadurch, daß
zurzeit alle unbesoldeten Ratsmitglieder vorher Stadtverordnete waren
und enge gesellschaftliche Beziehungen zwischen beiden bestehen, bilden die ehren-
amtlichen Mitglieder der beiden städtischen Kollegien ein einheitliches Element,
dessen Schwerpunkt dort liegt, wo die maßgebenden Führer sich gerade be-
sinden.
So wenig nun diesem einheitlichen Faktor in vielen Einzelfragen eine
gute sachliche Arbeit abzusprechen ist, so wenig läßt sich doch verkennen,
daß der gegenwärtige Zustand auch seine Schattenseiten hat. Die leitenden
Kreise sind eifrig auf Wahrung und Ausdehnung ihrer Macht bedacht, auch
wenn das gelegentlich nur auf Kosten des Gemeinwohls geht. Persönlich-
keiten, die in der Offentlichkeit des Stadtverordnetenkollegiums unbequem
werden, wählt man wider ihren Willen in den Stadtrat, wo ihnen die
Möglichkeit der öffentlichen Rede genommen ist. Hervorragend tüchtige
Stadträte wählt man aus Parteirücksichten nicht wieder, obgleich dadurch
die Stetigkeit der Arbeit leidet. Besonders einflußreiche Stellen werden
mit zuverlässigen Parteimännern besetzt, so z. B. die Stelle eines Vor-
sitzenden des Wahlausschusses der Stadtverordneten. Man ist bestrebt, die
städtische Verwaltungstätigkeit mehr und mehr in die Ausschüsse zu ver-
legen, deren Zusammensetzung man leicht beeinflussen kann. Die Bedeutung
der einzelnen Ausschüsse wird genau abgewogen. Es lassen sich durch die
Tätigkeit in ihnen Einfluß auf die Wahlen und private Vorteile gewinnen;
die Blicke der zahlreichen Lehrerschaft lassen sich z. B. unschwer auf die
im Schulausschusse besonders rührigen Mitglieder lenken. Da an der Beratung
wichtiger Fragen möglichst viele Personen teilzunehmen wünschen, werden
die Ausschüsse stärker besetzt, als es nützlich ist. Ungeschulte Kräfte, die
an den Beratungen teilnehmen, verlängern diese ungebührlich und suchen die
Zuständigkeiten zu überschreiten.
Irgendwelcher grundsätzliche Gegensatz zwischen dem Rate und den Stadt-
verordneten besteht nicht, zumal diesen ein dauernder Einfluß auf jenen
dadurch gesichert ist, daß sie alle nötig werdenden Wiederwahlen zu vollziehen
und die Gehaltserhöhungen der besoldeten Räte zu bewilligen haben. Gegen