Königreich Sachsen. 55
II. Die Wahl aller Ratsmitglieder — welche übrigens wie die Stadtrats-
mitglieder in den Städten mit RSt O. 1 vor dem Amtsantritte das Bürger-
recht mit voller Stimmberechtigung erhalten haben müssen, wobei jedoch
vom Erfordernisse des zweijährigen Wohnsitzes im Gemeindebezirke abzu-
sehen ist — erfolgt durch den Stadtgemeinderat; hierbei hat das oben
§ 9, 3 Ausgeführte Anwendung zu leiden. Von der Möglichkeit, für
einzelne Ratsstellen ortsstatutarisch eine besondere Befähigung vorzuschreiben,
hat keine Stadt Gebrauch gemacht. Zur Ubernahme des Amtes eines Rats-
mitgliedes, auch eines besoldeten (z. B. des Bürgermeisteramtes), ist grund-
sätzlich jeder wählbare Bürger verpflichtet, es findet jedoch kein Zwang zur
Annahme einer auf mehr als sechs Jahre erfolgenden Wahl statt 2. In bezug
auf Ablehnung der Wahl, auf freiwillige oder unfreiwillige Amtsniederlegung
und das Ruhen der Amtsausübung gelten die hierüber durch die RStd.
für die Stadtverordneten getroffenen Bestimmungen; die Festsetzung der
Strafe (15 bis 300 Mark jährlich) für ungerechtfertigte Verweigerung der
Amtsübernahme oder Amtsfortführung erfolgt durch den Stadtgemeinderat .
Die Wahlen der Ratsmitglieder erfolgen, wenn nicht für einzelne Stellen
ausdrücklich eine Wahl auf längere Zeit beschlossen wird 1, auf sechs Jahre;
Wiederwahlen sind statthaft. Die neueintretenden Ratsmitglieder werden in
einer Sitzung des Stadtgemeinderats, und zwar der Bürgermeister durch den
Amtshauptmann oder einen Beauftragten desselben, die übrigen durch den
Bürgermeister eidlich, bei Wiederwahl aber mittels Handschlages unter Ver-
weisung auf den früher geleisteten Eid verpflichtet. Die Ratsmitglieder
haben den Bürgermeister zu unterstützen und sind an feine dienstlichen An-
weisungen gebunden, bilden also nicht ein Kollegium; es kann ihnen auch
vom Stadtgemeinderat die Besorgung gewisser, aber nur zur eigentlichen
Gemeindeverwaltung gehöriger Geschäfte unter Aufsicht des Bürgermeisters
übertragen werden. Sie sind ebenso wie der Bürgermeister für die Be-
obachtung der gesetzlichen und der von vorgesetzten Behörden ergangenen
1 Oben §8 9, 2.
2 Eine Verpflichtung zur Annahme eines berufsmäßigen Amts (s. nach-
stehend V) besteht nicht: § 28 der Verfassungsurkunde.
3 Vgl. oben § 7 II, 3 und 4.
* In einer Stadt soll die Wiederwahl des Bürgermeisters stets auf 12 Jahre,
in zwei anderen Städten stets auf Lebenszeit gelten, die übrigen haben es bei der
gesetzlichen Regel bewen den lassen, jedoch hin und wieder lebenslängliche Anstellung
eines Bürgermeisters ausdrücklich vorbehalten und auch tatsächlich vorgenommen. Auf
die auf Lebenszeit angestellten Bürgermeister und städtischen Unterbeamten (nach-
stehend V) finden die oben § 9, 5 wiedergegebenen Bestimmungen des Gesetzes v.
23. Angust 1878 Anwendung: vgl. auch oben § 9, 9.