Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

Reichstag. — 197. Sitzung. Sonnabend den 26. Oktober 1918. 
(v. Graefe, Abgeordneter.) 
(A) Heeresleitung immer und immer wieder bis zum Tot- 
(B) 
laufen vorgespannt vor Ihren Karren. Wenn die 
militärischen Stellen aber in einer Frage eine andere 
Ansicht haben, so ist das demokratische Prinzip immer 
schnell dabei, derartige Außerungen und Depeschen nicht 
zu veröffentlichen. Dann erfährt das Volk nichts davon, 
wie Hindenburg zum Beispiel über die jüngste Antwort 
aus Amerika denkt. Dann erfährt das freie Volk unter 
der demokratischen Führung nichts davon, allenfalls malt 
man eine militärische Gegenrevolution an die Wand! 
Meine Herren, ich gehe in meinen Hoffnungen noch weiter; 
ich berufe mich für meine Person nicht nur auf das 
Vertrauen, das ich zu den militärischen Stellen habe, 
daß sie der Preisgabe der Kaiserlichen Kommandogewalt 
nicht zustimmen können, sondern ich appelliere auch an 
die Alerhöchste Stelle selbst, daß sie sich nicht derartig 
aus ihren Rechten hinausdrängen lassen und daß sie auch 
gegenüber Wilson schließlich das unentbehrliche starke 
Rückgrat beweisen wird. 
Ich möchte hoffen und glauben, daß sich da unter 
Umständen noch Männer finden werden, die sich der 
Situation erinnern werden, die Bismarck damals dem 
König Wilhelm I. gegenüber in bezug auf die Berteidi- 
ung der Rechte und Pflichten der Krone eingenommen 
hual Das ist der Moment, den er in seinen „Gedanken 
und Erinnerungen“ wiedergegeben hat, wo er dem König 
auf seine Frage, was dann zu tun bleibe, erwidert: 
„Eure Majestät, indem Sie Ihre Königlichen 
Rechte von Goites Gnaden mit dem eigenen 
Blute besiegeln, ob auf dem Schafott oder auf 
dem Schlachtfelde, ändert nichts an dem rühm- 
lichen Einsetzen von Leib und Leben für die von 
Gottes Gnaden verliehenen Rechte! Eure 
Majestät müssen nicht an Ludwig XVI. denken. 
Der lebte und starb in einer schwächlichen Ge- 
mütsverfassung und macht kein gutes Bild in 
der Geschichte. Karl I. dagegen, wird er nicht 
immer eine vornehme historische Erscheinung 
bleiben, wie er, nachdem er für sein Recht das 
Schwert gezogen, die Schlacht verloren hatte, 
ungebeugt seine Königliche Gesinnung mit seinem 
Blute bekräftigte? Euer Majestät sind in der 
Notwendigkeit, zu fechten, Sie können nicht 
kapitulieren, Sie müssen, und wenn es mit körper- 
licher Gefahr wäre, der Vergewaltigung entgegen- 
eten.“ 
Das waren Bismarcks Worte, die er König Wilhelm J. 
zurief, als er seine Rechte freiwillig aufgeben wollte unter 
dem Druck der Masse. Die Geschichte lehrt, daß der 
König nicht schlecht beraten war, als Bismarck ihm diesen 
Rat gab. 
(Hörtl hört links.) —4 
Die Person des Kaisers ist in den letzten Tagen 
vielfach gegen die Gepflogenheiten, wie wir sie früher geubt 
haben sehr ausführlich von dieser Stelle aus in die Debatte, 
gezogen worden; das mag an den veränderten Zeit- 
verhältnissen liegen und soll deshalb keine Kritik meiner- 
seits sein. Aber wie sie besprochen worden ist, darüber 
erlaube ich mir allerdings die schärfste Kritik. Wir haben 
auch in unseren Reihen stets von dem guten Rechte des 
Deutschen Gebrauch gemacht, unsere Meinung offen zu 
sagen, wenn wir über unseren Kaiser oder König einen 
Tadel auszusprechen uns für berechtigt hielten. Das ist! 
unser gutes Recht als freie deutsche Männer, wir sind! 
keine Sklaven, die alles für schön und gut erklären müssen, 
wir sind keine Byzantiner. Aber das weiß ich: wenn 
auch im Deutschen Reichstage die Person des Kaisers 
in einer unerhörten Weise, wie es vom Abgeordneten Cohn 
und anderen geschehen ist, kritisiert worden ist: das 
monarchische Gefühl, welches in der Kaiserlichen Person 
  
dem H 
  
6287 
verkörpert ist, reißen Sie dem deutschen Volke nicht aus 
erzen; 
(Bravo rechts! — Zurufe links) 
das wird Ihnen nicht gelingen, nie und nimmer! Ich 
bin überzeugt, wenn Sie auf diesem Wege weiterschreiten, 
wie es Herr Cohn gestern getan hat, daß Sie dann selbst 
in weitesten sozialdemokratischen Kreisen die Mauer ver- 
stärken werden, die sich vor die Person des Kaisers stellt. 
Diese Mannentreue geht bis in alle Kreise des deutschen 
Volkes hinein. . 
(Zurufe.) 
Das „Berliner Tageblatt“ erklärt mit Recht heute — und 
das ist eine der schärfsten Kritiken an der Ausschaltung 
der Besprechung der Wilson-Note durch den gestrigen Be- 
schluß —, daß die Anträge, die Sie gestellt haben, mit 
der Friedensfrage eng verknüpft seien. Ja, wenn sie mit 
der Friedensfrage eng verknüpft sind, werden Sie es mir 
nicht übel nehmen, wenn man sich des Eindrucks nicht 
erwehren kann, daß solche „erknüpfung mit der Friedens- 
frage auch beweist, daß sie unter dem Einfluß der Wilson- 
schen Forderungen stehen. Wie sollen sie sonst mit der 
Friedensfrage im Zusammenhang stehen! Damit geben 
Sie zu, daß diese Anträge gestellt sind, um die Verhandlungen 
mit Wilson zu erleichtern, das heißt, daß der Wilsonsche 
Druck mindestens auf Beschleunigung der Erledigun 
und damit auf die ungründliche Erledigung maßgebli 
eingewirkt hat, 
(Sehr richtig! rechts) 
Sie werden diesen Eindruck nie von sich abwaschen. 
» (Sehr richtig! rechts.) 
Der Eindruck bleibt im In= und Auslande bestehen und 
wird außerhalb dieses Hauses fast allgemein empfunden, 
daß die jetzige überstürzte Einbringung der Anträge und 
ihre so weitgehende Gestaltung Wilson zuliebe ge- 
schehen sei. 
  
Man darf vielleicht noch weiter gehen. Die gestrige Ver= (D) 
hinderung der Aussprache über die Wilson-Note hier im 
Hause, die doch in der Presse ungehindert stattfindet, findet 
ihre unerfreuliche Erklärung vielleicht auch in diesen Zu- 
sammenhängen, mit den Anträgen, — ob ich darin recht 
oder unrecht habe, kann ich nicht entscheiden. Aber der 
Eindruck ist der, daß die Besprechung der Wilsonnote 
nicht eher stattfinden sollte, als bis wir Wilson diesen 
weiteren Knochen hingeschmissen haben, die vollständige 
Ausschaltung der Krone von der Kommandogewalt. Das 
ist der Eindruck, den man haben wird. Das wird sich 
nie von Ihnen abwaschen lassen. Das deutsche Volk wird 
den Eindruck haben: überall durfte man über die Note 
sprechen, nur im Reichstage nicht, weil wir erst noch 
unsern König und Kaiser in seiner Stellung als obersten 
Kriegsherrn und überhaupt als Faktor der Regierung auf 
Wilsons Geheiß preisgeben mußten. 
(Zuruf.) 
Ich kann unsere Stellungnahme dahin resümieren: 
Wir erkennen in diesem Vorgehen das Abreißen der Grund- 
mauern der ganzen Struktur unserer bisherigen Reichs- 
verfassung, die völlige Zunichtemachung unseres föderativen 
und monarchischen Charakters, durch die absolute Aus- 
schaltung jedes Einflusses der Krone auf den Gang der 
Geschäfte, sowie die Zurückdrängung Preußens. Die 
Regierungsgewalt wird ausschließlich in die Hände eines 
kleinen Komitees überzähliger, portefeuilleloser Staats- 
sekretäre aus der Reichstagsmehrheit gelegt. Die maß- 
gebende Stellung Preußens im Bundesrat wird beseitigt. 
Einen derartigen vollkommenen Bruch mit der Vergangen- 
heit, der absolut nicht mehr auch nur in losem Zusammenhang 
mit dem historisch Gewordenen steht, — den machen wir nicht# 
mit! Ich verstehe vollkommen, daß die Herren der äußersten“ 
Linken es wollen, weil sie dadurch ihre republikanischen Ab- 
sichten zielbewußt vertreten und fördern. Das ist ihr Grundsatz 
·
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.