Reichstag. — 197. Sitzung. Somabend den 26. Oktober 1918.
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(Landsberg, Abgeordneter.)
(A) Jzur meines Handelns gewesen ist und sein wird, gebe
,
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zu: die Bedeutung dieser Anträge ist eine unerhört große.
(Hört! hört!)
Mit diesen Anträgen kommt ein neuer Grundsatz zur
Geltung. Durch sie wird die Regierungsgewalt in den
entscheidenden Punkten in die Hände des Volkes gelegt,
durch die Vermittlung der dem Parlament verantwortlichen
Regierung.
(Sehr richtig! links.)
Gegen diese außerordentlich wichtigen Anträge hat der
Abgeordnete v. Graefe aber sehr wenig gesagt.
(Sehr richtig! links.)
Er hat gemeint, über die Frage, wer über Krieg und
Frieden zu entscheiden habe, könne man in ruhigen Zeiten
reden, nur Kriegszeiten eigneten sich dafür nicht. Und er
hat gesagt, ein Reichskanzler, der das Vertrauen des
Parlaments nicht besitze, könne sich auf die Dauer doch
nicht im Amte halten, im Grunde genommen sei also
unser Antrag zu Art. 15 der Verfassung überflüssig. Das
sind im wesentlichen die Einwendungen dieses konservativen
Mannes, dieser Säule der monarchischen Gewalt, gegen
unsere grundlegenden, bedeutsamen Anträge gewesen! Das
ganze Schwergericht seiner Polemik — wenn ich an-
gesichts der Art seiner Polemik von einem Schwergewicht
reden darf — «
(Heiterkeit und sehr gut! links)
hat er gegen unsere Anträge zu Art. 53 und 66 der
Verfassung gerichtet, und dabei hat er eine Unkenntnis
bewiesen, wie sie glücklicherweise ein Abgeordneter in diesem
hohen Hause noch selten gezeigt hat.
(Erneute Heiterkeit links und im Zentrum.)
Ich muß doch sagen, daß ich, selbst wenn ich viel weniger
Achtung vor diesem hohen Hause hätte, als sie mir eigen
ist, es nicht gewagt haben würde, über eine Materie zu
reden, von der ich 4K wenig verstehe, wie Herr v. Graefe
von der Verfassung. Herr v. Graefe hat nicht gewußt,
daß in Bayern, Sachsen und Württemberg die Offiziere
und Militärbeamten unter Gegenzeichnung des Kriegs-
ministers ernannt werden, — das jelle ich hiermit fest! —
denn hätte er davon eine Ahnung gehabt, so hätte er
nicht behaupten können, daß durch die Bestimmungen, die
von uns vorgeschlagen werden, das Treueverhältnis
zwischen Monarchen und Offizieren vernichtet wird. Herr
v. Graefe hat auch nicht gewußt, daß das, was jetzt von
uns verlangt wird, auch für Preußen nichts ist als die
Wiederherstellung eines Zustandes, der bis zum Jahre
1861 unangefochten bestanden hat und der richtiger
Meinung nach auch durch die Kabinettsorder von 1861
nicht geändert worden ist,
(Zuruf links)
— auch, wie die Kabinettsorder ausdrücklich sagt, nicht
geändert werden sollte. Aber, meine Herren, näher nach-
zuweisen, daß die Anträge zu den Art. 53 und 66 nichts
anderes als eine authentische Interpretation sind, ist
jetzt nicht die Zeit, die meiner Meinung nach für staats-
rechtliche Vorträge etwas zu ernst ist. Ich glaube,
daß dies der einzige Punkt ist, in dem ich mit Herrn
v. Graefe übereinstimme; denn irgend etwas Staatsrecht-
liches habe ich in seinen Ausführungen nicht gehört.
(Sehr gut! und Heiterkeit links.)
Das Hauptargument, das er ins Feld führte, ist die
schwache Besetzung der Ministerbank gewesen. Es ist aller-
dings unverzeihlich von den Herrn Staatssekretären, daß
ihnen andere Geschäfte wichtiger zu sein scheinen als das
Anhören einer Rede des Herrn v. Graefe. Ich meiner-
seits bin mit der Zahl der am Bundesratstische sitzenden
Herren vollkommen zufrieden.
(Zustimmung links und im Zentrum.)
Nicht sehr staatsrechtlich fand ich auch das Argument des
Herrn v. Graefe gegen unseren Antrag zu Art. 15, das
Reichstag. II. 1914/1918. 197. Sitzung.
er der Möglichkeit einer Personalunion zwischen den Amtern (O)
des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten
entnommen hat. Er sagte uns nämlich, wenn ein Minister
zugleich Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident
sei, so könne es durch ein Mißtrauensvotum des Reichs-
tags, das ihn als Kanzler stürze, dahin kommen, daß
Preußen durch das Reich entrechtet werde. Ja, mit Ver-
laub! wo steht denn geschrieben, daß ein Mann, der im
glücklichen Besitze dieser beiden wichtigen Amter ist, wenn
er als Reichskanzler von seinem Amte entfernt wird,
nicht weiter preußischer Ministerpräsident bleiben kann?
Die Möglichkeit ist durchaus gegeben. Wenn man aber
dem Reichstage zumutet, sich einen Kanzler gefallen zu
lassen, der sein Vertrauen nicht genießt, bloß aus dem
Grunde, weil er preußischer Ministerpräsident ist, dann
tut man etwas anderes, man entrechtet nämlich das Reich
zugunsten Preußens,
(sehr richtig! links)
und das ist allerdings etwas, was Herrn v. Graefe nicht
übermäßig unsympatisch sein wird.
(Heitere Zustimmung links.)
Im Vorbeigehen möchte ich einen kleinen Irrtum des
Herrn v. Graefe berichtigen, nicht, weil die Sache be-
sondere Wichtigkeit hätte, sondern aus dem Grunde, weil
ich auf der Linken nicht den Vorwurf der Unehrlichkeit
sitzen lassen will, den er ihr unter der Blume gemacht
hat. Er hat nämlich gesagt: als er früher einmal über
das parlamentarische System gesprochen und ausgeführt
habe, es führe zu einem Schattenkönigtum, sei das von
der Linken bestritten worden, und jetzt werde es zugegeben.
Nun will ich auf die Frage des parlamentarischen Systems
heute nicht in Ausführlichkeit eingehen — mir scheint kein
Bedürfnis danach vorzuliegen, es marschiert ja auch von
selbst; ich möchte nur sagen, wie der Hergang war, auf
den Herr v. Graefe angespielt hat. Als Herr v. Graefe
die von ihm heute zitierte Rede hielt, an die er besser ([O)
nicht erinnert hätte, da habe ich ihm bei den Worten,
der König in einem parlamentarisch regierten Lande sei
ohne weiteres dazu verurteilt, eine Null zu sein, und
habe keinen politischen Einfluß, zugerufen: Eduard VII.
(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)
Darauf hat er geantwortet — und damit hat er eigent-
lich das parlamentarifche System so glänzend gerecht-
fertigt wie noch niemals vor ihm ein Redner —: Was
wollen Sie, Eduard VII. war ein tüchtiger Kerl!
(Große Heiterkeit links.)
Das parlamentarische System hindert in der Tat keinen
Monarchen, der ein tüchtiger Kerl ist — um mit Herrn
v. Graefe zu sprechen —, etwas zu leisten; es hindert
aber einen Monarchen, der unfähig ist, Unheil anzurichten.
(Lebhafte Zustimmung links.)
Meine Herren, Herr v. Graefe sagte, es sei bei der
geringen Zeit, die zwischen der Einbringung unserer An-
träge und ihret Beratung liege, schwer, über sie zu sprechen.
Die hinter ihm stehende konservative Presse hat viel
weniger Zeit, als er für die Vorbereitung zu seiner Rede
in Anspruch genommen hat, gebraucht, um Artikel zu
schreiben, gegen die selbst seine Rede matt gewesen ist.
Ich gebe ihm gern zu, er hat sich die größte Mühe ge-
geben, hier ein großes Entrüstungsfeuer aufflammen zu
lassen. An der Mühe hat es nicht gefehlt. Wenn er
keinen Eindruck gemacht hat, lag das auch nicht daran,
daß seine Stimme infolge der von ihm überstandenen
Krankheit noch etwas schwach ist. Es lag daran, daß
seine geistigen Kräfte unzureichend sind. Die konservativen
Zeitungen verstehen das Geschäft des Aufputschens, des
Hetzens besser als er. Die „Kreuzzeitung" schreibt heute
früh zu unseren Anträgen:
Der Geist, der sich vor dem Kriege bei der
Zaberner Affäre zeigte, hat weitergefressen.
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