Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

Reichstag. — 193. Sitzung. Dienstag den 22. Oktober 1918. 
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(Dr. Stresemann, Abgeordneter.) 
(A) und werden uns der geschichtlichen Dankbarkeit Deutschlands 
(B 
— 
für das, was die Hohenzollern für Preußen und Deutschland 
geleistet haben, niemals entziehen. Aber, wie die Stellung 
des Monarchen auch in der Hohenzollerndynastie von dem 
18. Jahrhundert Friedrichs des Großen bis zum 19. Jahr- 
hundert Wilhelms I. Wandlungen erfuhr, so auch in der 
Gegenwart. Es ist ein törichtes Wort, das jetzt vielfach 
von Seiten der Rechten gesprochen wird, das Wort vom 
Schattenkaisertum. 
(Sehr richtig! links.) 
Die Idee des Gottesgnadentums hat niemals im Libera- 
lismus gewurzelt. Er konnte im Fürsten stets nur den 
durch Geburt und Rang an erster Stelle stehenden Bürger 
des Staates sehen. Wer aber an dieser Stelle stand, 
und wem das höchste Erdenglück der Menschenkinder, die 
Persönlichkeit, gegeben war, der konnte sich durchsetzen und 
hat sich in der Geschichte durchgesetzt und ist durch 
Schranken nicht gehindert worden, seinen Geist für sein 
Volk und seine Ideen einzusetzen. 
Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) 
Und wem diese Persönlichkeit versagt blieb, der blieb ein 
Instrument in den Händen anderer auch dann, wenn ihm 
an sich die höchste Machtfülle durch die Staatsgewalt 
gegeben war. 
onent Zustimmung bei den Nationalliberalen.) 
Deshalb sind wir als Monarchisten überzeugt, daß wir 
die Monarchie am besten schützen, wenn wir an dieser 
Neuordnung der Verhältnisse jetzt kräftig mitarbeiten. 
Noch wissen wir nicht, wann der Friede kommt. Die 
Bestrebungen unserer Regierung sind auf einen ehrenvollen 
Frieden gerichtet. Wir erwarten und wissen von der 
Regierung, daß sie die letzten Kräfte des Volkes zum 
Kampfe aufrufen wird, wenn dieser Friede nicht erreichbar 
ist. Wenn das Geschick unseren Untergang beschlossen 
haben sollte, dann darf dieser Untergang nur so geschehen, 
daß wir vor der Geschichte bestehen können. 
Der Aufruf des Jahres 1813, der mir als eines 
der schönsten Dokumente deutscher Sprache erscheint, rief 
das preußische Volk zum Kampfe auf, „weil ehrlos der 
Preuße und Deutsche nicht zu leben vermag". Das ist 
das Zeichen, in dem auch wir der Entscheidung der Zu- 
kunft entgegensehen, wenn die Friedensschritte unserer 
Regierung von Erfolg nicht gekrönt sein sollten. Wir 
wollen dann dieser Zukunft entgegensehen als ein freies 
Volk, das mit dem Aufgebot aller Kräfte für den Platz 
nach außen und innen kämpft, auf den es nach seinen 
Leistungen in der Geschichte der Völker und in der Ge- 
schichte der Menschheit ein Recht hat. 
(Lebhafter Beifall bei den Nationalliberalen.) 
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete 
Graf v. Westarp. 
Graf v. Westarp, Abgeordneter: Meine Herren, 
meine Freunde und ich können in der vollzogenen inner- 
politischen Entwicklung der Verhältnisse, die heute zur 
Erörterung steht, nicht einen Fortschritt erblicken, sondern 
wir sehen darin eine verhängnisvolle Wendung, von der 
wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vater- 
laudes befürchten. Zweierlei ist erreicht worden, was 
gleichzeitig das Ziel der deutschen Demokratie und der 
Wunsch unserer Feinde gewesen ist: die Entlassung und 
die Auswahl des Kanzlers und der Staatssebretäre 
ist der materiellen Entscheidung des Kaisers entzogen und 
der Beschlußfassung der Mehrheitsparteien des Reichstags 
übertragen worden, und die so ernannten Minister 
haben in Zukunft nicht mehr die kaiserliche Politik zu 
hren, sind nicht mehr in erster Linie dazu berufen, 
die Beschlüsse des Bundesrats zu vertreten und durch- 
zuführen, sie sind der Vollzugsausschuß der hinter ihnen 
  
stehenden Parteien und der dadurch gebildeten Reichs- 
tagsmehrheit. 
Durch diese Entwicklung sind nach unserer Auffassung 
die wertvollen Grundlagen beseitigt, auf denen, ent- 
sprechend der jahrhundertelangen preußisch-deutschen Ge- 
schichte Bismarck das Deutsche Reich errichtet hatte, auf 
denen dieses Reich zu hoher Blüte emporgestiegen ist, und 
die sich in diesem Kriege bewährt haben, in dem es dem 
deutschen Volke beschieden gewesen ist, vier Jahre hin- 
durch und länger mit vollem Erfolge gegen die Ubermacht 
einer Welt von Feinden sich zu behaupten. 
(Sehr richtig! rechts.) · 
Diese Grundlagen sind beseitigt. Aus dem monarchisch- 
konstitutionellen Reich ist ein n ach den Grundsätzen der 
westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat 
geworden. Die Verwahrungen des Herrn Reichskanzlers 
und einzelner einzelstaatlicher Minister, die dahin gingen, 
daß auch bei der neuen Regierungsform der bundesstaat- 
liche Charakter des Reichs gewahrt bleiben soll, 
haben nach unserer Überzeugung einen materiellen 
Wert nicht. 
(Sehr richtig! rechts.) 
Dem Bundesrat ist die Regierungsgewalt entglitten und 
niemand kann im Ernste daran glauben, daß die ver- 
bündeten Regierungen in der Folge noch auf irgend einem 
Gebiete in der Lage sein werden, dem zentralistischen 
Machtgelüste des Reichstags und der Mehrheit, die jetzt 
die Regierung ergriffen hat, wirksamen Widerstand zu 
leisten. Und zu dem bundesstaatlichen Charakter des 
Reichs gehört die Stellung Preußens. Die Geschichte 
hat dazu geführt, daß das Deutsche Reich unter Preußens 
Führung errichtet ist und die erste Periode seines Bestehens 
durchlebt hat. Wer aber dem Kaiser die Entscheidung 
über die Ernennung der Minister entzieht, wer sonstige 
Rechte des Kaisers einschränkt, der enteignet gleichzeitig OY) 
den König von Preußen. 
(Sehr richtig! rechts. — Lachen links.) 
Und wer ein Reichsministerium einführt, als eine vom 
Bundesrat unabhängige Behörde und als den Vollzugs- 
ausschuß der Reichstagsmehrheit, der nimmt der preußsschen 
Stimme ihr Gewicht. " 
Deshalb können wir nicht den Vorlagen zustimmen, 
die uns heute beschäftigen und in der nächsten Zeit 
beschäftigen werden, und die dazu bestimmt sind, das 
Ergebnis dieser Entwicklung, die wir nicht gutheißen, 
gesetzlich durchzuführen. Ich will deshalb auf die Einzel- 
heiten nicht näher eingehen. 
Teils handelt es sich dabei — in dem Antrage der 
Unabhängigen Sozialdemokraten und auch in dem von 
dem Herrn Reichskanzler angekündigten Entwurf über 
den Staatsgerichtshof — um gesetzliche Bestimmungen, 
durch welche das Recht des Reichstags, die Entlassung 
des Kanzlers zu verlangen, festgelegt werden soll; teils 
handelt es sich — in der Aufhebung des Artikels 21 und 
in der Abänderung des Stellvertretungsgesetzes — einer- 
seits um die Niederreißung einer Schranke gegen die 
Parlamentarisierung und Politisierung des unabhängigen 
Beamtentums 
(Lachen und Zurufe links) 
— des vom Parteileben des Parlaments unabhängigen 
Beamtentums! — 
(Lachen links) 
andererseits um die Bildung eines vom Bunderat und 
der Preußischen Stimme losgelösten Reichsministeriums. 
In ruhigen Zeiten würde man über die Abänderung des 
Artikels 11 der Reichsverfassung verschiedener Ansicht 
sein können. Die Erfahrungen dieses Krieges in den 
parlamentarisch regierten Demokratien haben freilich nicht 
gezeigt, daß das Erfordernis der Zustimmung des Par-
	        
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