Reichstag. — 193. Sitzung. Dienstag den 22. Oktober 1918.
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(Dr. Stresemann, Abgeordneter.)
(A) und werden uns der geschichtlichen Dankbarkeit Deutschlands
(B
—
für das, was die Hohenzollern für Preußen und Deutschland
geleistet haben, niemals entziehen. Aber, wie die Stellung
des Monarchen auch in der Hohenzollerndynastie von dem
18. Jahrhundert Friedrichs des Großen bis zum 19. Jahr-
hundert Wilhelms I. Wandlungen erfuhr, so auch in der
Gegenwart. Es ist ein törichtes Wort, das jetzt vielfach
von Seiten der Rechten gesprochen wird, das Wort vom
Schattenkaisertum.
(Sehr richtig! links.)
Die Idee des Gottesgnadentums hat niemals im Libera-
lismus gewurzelt. Er konnte im Fürsten stets nur den
durch Geburt und Rang an erster Stelle stehenden Bürger
des Staates sehen. Wer aber an dieser Stelle stand,
und wem das höchste Erdenglück der Menschenkinder, die
Persönlichkeit, gegeben war, der konnte sich durchsetzen und
hat sich in der Geschichte durchgesetzt und ist durch
Schranken nicht gehindert worden, seinen Geist für sein
Volk und seine Ideen einzusetzen.
Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)
Und wem diese Persönlichkeit versagt blieb, der blieb ein
Instrument in den Händen anderer auch dann, wenn ihm
an sich die höchste Machtfülle durch die Staatsgewalt
gegeben war.
onent Zustimmung bei den Nationalliberalen.)
Deshalb sind wir als Monarchisten überzeugt, daß wir
die Monarchie am besten schützen, wenn wir an dieser
Neuordnung der Verhältnisse jetzt kräftig mitarbeiten.
Noch wissen wir nicht, wann der Friede kommt. Die
Bestrebungen unserer Regierung sind auf einen ehrenvollen
Frieden gerichtet. Wir erwarten und wissen von der
Regierung, daß sie die letzten Kräfte des Volkes zum
Kampfe aufrufen wird, wenn dieser Friede nicht erreichbar
ist. Wenn das Geschick unseren Untergang beschlossen
haben sollte, dann darf dieser Untergang nur so geschehen,
daß wir vor der Geschichte bestehen können.
Der Aufruf des Jahres 1813, der mir als eines
der schönsten Dokumente deutscher Sprache erscheint, rief
das preußische Volk zum Kampfe auf, „weil ehrlos der
Preuße und Deutsche nicht zu leben vermag". Das ist
das Zeichen, in dem auch wir der Entscheidung der Zu-
kunft entgegensehen, wenn die Friedensschritte unserer
Regierung von Erfolg nicht gekrönt sein sollten. Wir
wollen dann dieser Zukunft entgegensehen als ein freies
Volk, das mit dem Aufgebot aller Kräfte für den Platz
nach außen und innen kämpft, auf den es nach seinen
Leistungen in der Geschichte der Völker und in der Ge-
schichte der Menschheit ein Recht hat.
(Lebhafter Beifall bei den Nationalliberalen.)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete
Graf v. Westarp.
Graf v. Westarp, Abgeordneter: Meine Herren,
meine Freunde und ich können in der vollzogenen inner-
politischen Entwicklung der Verhältnisse, die heute zur
Erörterung steht, nicht einen Fortschritt erblicken, sondern
wir sehen darin eine verhängnisvolle Wendung, von der
wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vater-
laudes befürchten. Zweierlei ist erreicht worden, was
gleichzeitig das Ziel der deutschen Demokratie und der
Wunsch unserer Feinde gewesen ist: die Entlassung und
die Auswahl des Kanzlers und der Staatssebretäre
ist der materiellen Entscheidung des Kaisers entzogen und
der Beschlußfassung der Mehrheitsparteien des Reichstags
übertragen worden, und die so ernannten Minister
haben in Zukunft nicht mehr die kaiserliche Politik zu
hren, sind nicht mehr in erster Linie dazu berufen,
die Beschlüsse des Bundesrats zu vertreten und durch-
zuführen, sie sind der Vollzugsausschuß der hinter ihnen
stehenden Parteien und der dadurch gebildeten Reichs-
tagsmehrheit.
Durch diese Entwicklung sind nach unserer Auffassung
die wertvollen Grundlagen beseitigt, auf denen, ent-
sprechend der jahrhundertelangen preußisch-deutschen Ge-
schichte Bismarck das Deutsche Reich errichtet hatte, auf
denen dieses Reich zu hoher Blüte emporgestiegen ist, und
die sich in diesem Kriege bewährt haben, in dem es dem
deutschen Volke beschieden gewesen ist, vier Jahre hin-
durch und länger mit vollem Erfolge gegen die Ubermacht
einer Welt von Feinden sich zu behaupten.
(Sehr richtig! rechts.) ·
Diese Grundlagen sind beseitigt. Aus dem monarchisch-
konstitutionellen Reich ist ein n ach den Grundsätzen der
westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat
geworden. Die Verwahrungen des Herrn Reichskanzlers
und einzelner einzelstaatlicher Minister, die dahin gingen,
daß auch bei der neuen Regierungsform der bundesstaat-
liche Charakter des Reichs gewahrt bleiben soll,
haben nach unserer Überzeugung einen materiellen
Wert nicht.
(Sehr richtig! rechts.)
Dem Bundesrat ist die Regierungsgewalt entglitten und
niemand kann im Ernste daran glauben, daß die ver-
bündeten Regierungen in der Folge noch auf irgend einem
Gebiete in der Lage sein werden, dem zentralistischen
Machtgelüste des Reichstags und der Mehrheit, die jetzt
die Regierung ergriffen hat, wirksamen Widerstand zu
leisten. Und zu dem bundesstaatlichen Charakter des
Reichs gehört die Stellung Preußens. Die Geschichte
hat dazu geführt, daß das Deutsche Reich unter Preußens
Führung errichtet ist und die erste Periode seines Bestehens
durchlebt hat. Wer aber dem Kaiser die Entscheidung
über die Ernennung der Minister entzieht, wer sonstige
Rechte des Kaisers einschränkt, der enteignet gleichzeitig OY)
den König von Preußen.
(Sehr richtig! rechts. — Lachen links.)
Und wer ein Reichsministerium einführt, als eine vom
Bundesrat unabhängige Behörde und als den Vollzugs-
ausschuß der Reichstagsmehrheit, der nimmt der preußsschen
Stimme ihr Gewicht. "
Deshalb können wir nicht den Vorlagen zustimmen,
die uns heute beschäftigen und in der nächsten Zeit
beschäftigen werden, und die dazu bestimmt sind, das
Ergebnis dieser Entwicklung, die wir nicht gutheißen,
gesetzlich durchzuführen. Ich will deshalb auf die Einzel-
heiten nicht näher eingehen.
Teils handelt es sich dabei — in dem Antrage der
Unabhängigen Sozialdemokraten und auch in dem von
dem Herrn Reichskanzler angekündigten Entwurf über
den Staatsgerichtshof — um gesetzliche Bestimmungen,
durch welche das Recht des Reichstags, die Entlassung
des Kanzlers zu verlangen, festgelegt werden soll; teils
handelt es sich — in der Aufhebung des Artikels 21 und
in der Abänderung des Stellvertretungsgesetzes — einer-
seits um die Niederreißung einer Schranke gegen die
Parlamentarisierung und Politisierung des unabhängigen
Beamtentums
(Lachen und Zurufe links)
— des vom Parteileben des Parlaments unabhängigen
Beamtentums! —
(Lachen links)
andererseits um die Bildung eines vom Bunderat und
der Preußischen Stimme losgelösten Reichsministeriums.
In ruhigen Zeiten würde man über die Abänderung des
Artikels 11 der Reichsverfassung verschiedener Ansicht
sein können. Die Erfahrungen dieses Krieges in den
parlamentarisch regierten Demokratien haben freilich nicht
gezeigt, daß das Erfordernis der Zustimmung des Par-