Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918.
(Haase [Königsberg!, Abgeordneter.)
(A) meine Herren, hätte bei denjenigen, die in dem U-Boot-
Kriege eine Verletzung des Völkerrechts und der Huma-
nität gesehen haben, den allergünstigsten Eindruck gemacht.
(Zuseimnnung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Diese Gelegenheit haben Sie vorübergehen lassen.
Wir sind der Meinung, daß die deutsche Regierung
auf dem Gebiet der auswärtigen Politik, um ihre schlechte
Lage zu verbessern, noch ganz anders handeln miüßte.
Wir fragen uns: weshalb müssen deutsche Truppen noch
länger im Osten stehen? Die Ostpolitik ist zusammen-
gebrochen; das erkennen alle an. Was haben unsere
deutschen Truppen in Polen zu suchen? Die Behauptung,
daß die polnische Regierung die deutschen Truppen gebeten
habe, dort zu bleiben, ist widerlegt worden. Nach Finn-
land sind unsere Truppen aus rein dynastischen und
Bourgeoisinteressen gezogen.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Man glaubte, daß ein Schwager des deutschen Kaisers
dort eine Königskrone finden könne. Man glaubte, daß
unsere kapitalistische Ordnung gefestigt würde, wenn man
der Bourgeoisie zur Hilfe eile gegen die Mehtheit der
Bevölkerung, gegen die Arbeiter, Handwerker und Bauern.
Meine Herren, noch stehen unsere Truppen dort! Was
haben unsere Truppen zu suchen im Baltikum, in Litauen,
n Kurland, in Estland, in Livland, in einzelnen Teilen
von Großrußland? Gerade Sie von Ihrem Standpunkt
aus hätten doch, wenn Sie die Westfront militärisch
hätten stärken wollen, längst dafür sorgen müssen, daß
alle die Truppenmassen aus dem Osten herausgeholt und
an die Westgrenze geschafft werden. Für uns ist nicht
dieser Grund maßgebend. Wir haben es verlangt, weil
wir die Bevölkerung in diesen Ländern nicht länger be-
drücken lassen wollen, weil wir den Haß, der gegen Deutsch-
land entstanden ist, nicht noch vermehren lassen wollen.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Dieser Krieg nimmt eine Entwicklung, wie sie unsere
großen, das heißt, der deutschen, der internationalen
Sozialdemokratie großen Meister vorausgesagt haben.
Ich habe schon vor einiger Zeit einmal erinnert an die
genialen Ausführungen Friedrich Engels über den ZuU-
kunftskrieg. Damals haben Sie nicht daran geglaubt,
daß diese Worte sich bewähren würden. Heute will ich
Ihnen nicht nur ins Gedächtnis zurückrufen, was ich
früher davon vortrug, sondern noch einiges hinzufügen,
und Sie werden erstaunen, wie dieser große Geist die
Zukunft vorausgesehen hat. Er sagt:
Es ist kein anderer Krieg für Preußen-Deutsch-
land mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar
ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Aus-
dehnung und Heftigkeit.
(Hört. hörtl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
8 bis 10 Millionen Soldaten werden sich unter-
einander abwürgen und dabei ganz Europa so
kahlfressen wie noch nie ein Heuschreckenschwarm.
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Die Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges,
zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und
über den ganzen Kontinent verbreitet, Hungersnot,
Seuche, allgemeine durch akute Not hervorgerufene
Verwilderung der Heere wie der Volksmassen,
rettungslose Verwirrung unseres künstlichen Be-
triebes in Handel, Industrie und Kredit und am
Ende ein allgemeiner Bankerott, Zusammenbruch
der alten Staaten und ihrer traditionellen Staats-
weisheit derart, daß die Kronen zu Dutzenden
über die Straßenpflaster rollen,
(große Heiterkeit bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
und niemand sich findet, der sie aufhebt, absolute
Unmöglichkeit, vorherzusehen, wie das alles enden
wird und wer als Sieger aus diesem Kampfe
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herborgehen wird.
sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Her-
stellung der Bedingungen des schließlichen Sieges
der Arbeiterklasse. Das ist die Aussicht, wenn
das auf die Spitze getriebene System der gegen-
seitigen Uberbietung und Kriegsrüstungen endlich
seine unvermeidlichen Früchte trägt.
(Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Jedes Wort ist zur Wahrheit geworden,
(sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
und Sie, meine Herren von den bürgerlichen Parteien,
sehen schaudernd, wie diese Früchte heranreifen.
In dieser Verlegenheit lassen Sie es sich gern ge-
fallen, daß auch Vertreter der Arbeiter, Anhänger der
sozialdemokratischen Fraktion, mit Ihnen zusammen in die
Regierung eingetreten sind, um noch zu retten, was von
diesem System zu retten ist.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Herr Stresemann war gestern so offen, seiner Freude
darüber klaren Ausdruck zu geben. Meine Herren, die
Kronen rollen auf das Pflaster, die Krone des Bulgaren-
königs Ferdinand, die Krone des Zaren Nikolaus, die
Krone des österreichisch-ungarischen Kaisers. Die Kronen,
die man schon zu erhaschen glaubte, sind wie ein Phantom
schnell davongeeilt, die Krone von Finnland, von Kur-
land, von Litauen. Rings um uns werden Republiken
sich auftun, und da soll Deutschland allein, umgeben von
Republiken, noch einen Kronenträger haben oder Träger
vieler Kronen und Krönlein!
(Stürmische Unruhe und Rufe: Pfui! rechts. —
Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozial-
demokraten.)
Präsident: Meine Herren, ich bitte um Ruhel!
Haase (Königsberg), Abgeordneter: Wir sind hier
doch noch nicht so weit, daß man einen Gedanken nicht MD)
aussprechen kann in parlamentarischer Form! Wenn Ihnen
das nicht paßt, meine Herren (nach rechts), so verraten
Sie damit, daß Sie auch in dieser Zeit noch nichts ge-
lernt haben.
(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.
— Zurufe rechts.)
— Ich glaube, da war kein grobes Wort dabei. Es
sind doch bürgerliche Blätter: die „Münchener Neuesten
Nachrichten“, das nationalliberale „Leipziger Tageblatt“
erwähne ich nur von vielen, die ausgeführt haben, daß
es eine selbstverständliche und begründete Forderung an
den gegenwärtigen Träger der preußischen Krone und
den Deutschen Kaiser sei, daß er sein Amt niederlege,
wenn er ein Friedenshindernis sei.
(Hörtl hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Eine Reihe anderer Blätter haben noch viel deutlicher
gefordert, daß die Dynastie in Deutschland anderen Ein-
richtungen, republikanischen Einrichtungen Platz machen müsse.
Heh richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Die Zensur hat dann versucht, einige dieser Blätter für
kurze Zeit zu unterdrücken; aber die Tatsachen hat sie
nicht aus der Welt schaffen können. Sie wissen so gut
oder besser als ich, wie in vielen Kreisen des Bürgertums
seit Wochen darüber gesprochen wird,
(Zuruf links)
in den konservativen Reihen nicht zum wenigsten, daß
schließlich um der Hohenzollern-Dynastie willen nicht das
Schicksal unseres deutschen Volkes besiegelt sein soll.
(Zuruf rechts.
— Nein, in den konservativen Blättern stand das nicht,
das habe ich auch nicht gesagt, aber in den bürgerlichen
Kreisen gehen von Mund zu Mund derartige Außerungen.
(Sehr richtig" bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.
— Zurrfe rechts.)
Nur ein Resultat absolut (CO)