(4)
(:6
—.
—
6190
(Haase [Königsberg!, Abgeordneter.)
Meine Herren, wir sehen trübe in die Zukunft, trübe,
weil wir fürchten, daß der Friede uns nicht die Ruhe
bringen wird. Wir erwarten von der Regierung, daß sie
aus eigener Initiative den Artikel 5 des Prager Friedens
endlich zur Erfüllung bringen wird.
(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Die rein denisch sprechenden, fühlenden und denkenden
Nordschleswiger haben nach dem Prager Friedensvertrage
ein Recht, daß sie endlich darüber abstimmen können, zu
welchem Staate sie gehören wollen.
(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Warten Sie nicht, bis auf dem Friedenskongreß auch
diese Frage zu einer internationalen Frage gemacht wird.
Wir sehen die Völker nicht als Besitztümer an, die
hin und hergeschoben werden können, von einem Staate
zum andern. Wir haben uns deswegen auch dagegen
gewandt, daß Frankreich durch die Gewalt des Schwertes
Elsaß-Lothringen zurückerobern wollte. Wir stehen des-
wegen heute auf dem Standpunkte, — und wir freuen
uns, daß unsere französischen Freunde ihn teilen —, daß
die elsaß-lothringische Bevölkerung darüber entscheiden
muß, zu welchem Staate sie gehören will. Nicht die Staats-
grenzen, auch nicht die Sprachgrenzen sind entscheidend in
dieser Frage: entscheidend ist der Wille der Bevölkerung.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Wir sind nicht enttäuscht über den Verlauf der Dinge.
Wir haben vorausgesehen, daß es so mit Elsaß-Lothringen
kommen würde. Wir haben von Anfang an darauf hin-
gewiesen, daß es unmöglich ist, die elsaß-lothringische
Frage zu einer ausschließlich deutschen Frage zu stempeln,
daß sie eine internationale Frage sei.
Wir stehen genau so zur polnischen Frage. Noch
vor der polnischen Fraktion hat meine Fraktion in diesem
Hause das Recht der Polen, auch der deutschen Polen,
ihr Geschick selbst zu bestimmen, sich mit den Polen der
anderen Länder zu einem einheitlichen Staate zu ver-
einigen, verkündigt.
(Bravo! bei den Polen.)
Aber, meine Herren, auch hier sind wir Gegner jener
polnischen Hitzköpfe, welche jetzt alles Land, das irgend
einmal unter polnischer Herrschaft war, als polnisches
Land bezeichnen möchten. Nicht die Sprache darf ent-
scheiden, sondern wiederum nur der Wille der Bevölkerung.
Wir sind darauf angewiesen, mit dem neuen polnischen
Reiche im Frieden zu leben, und es sollte von beiden
Seiten, von deutscher Seite wie von polnischer Seite,
jetzt alles unterbleiben, was diese beiden Nationen durch-
einanderhetzen könnte. Es wäre ein Unglück, wenn durch
unbegründete nationalistsche Aspirationen die Verbindung
zwischen Ostpreußen und dem übrigen Teile des Reiches
unterbunden würde. «
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Da klar zu prüfen: was will die Bevölkerung? — und nicht
etwa: was begehrt ein Teil der Polen? — das ist die
gemeinsame Aufgabe der Deutschen und Polen, die das
Selbstbestimmungsrecht in jeder Beziehung achten.
Meine Herren, wir sehen trübe in die Zukunft nicht
nur wegen all der schweren Leiden, mit denen unser Volk
erfüllt ist und die in ihrer vollen Tragik erst nach dem
Kriege hervortreten werden, sondern auch wegen der un—
erschwinglichen Lasten, die auf ihm ruhen und die von
Tag zu Tag größer werden.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Meine Herren, wenn Sie den Krieg fortsetzen, so müssen
Sie sich doch sagen, daß zu den Hunderten von Millionen
— denn um diese Summe handelt es sich ja schon —
noch weitere Zehner von Millionen kommen werden. Wer
wird denn diese Lasten tragen? Zum größten Teil
werden es wiederum die Arbeiter, die Handwerker, die
kleinen Leute sein. Der Mittelstand ist zerrieben in einer
Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918.
Art, wie es niemand geahnt hat.
gestellten werden unter dem Steuerdruck und der Teuerung
bei ihren geringen Gehältern leiden wie nie zuvor. Diese
Lasten zu vermehren, ist unverantwortlich.
Das deutsche Volk wird nicht untergehen — wird
nicht untergehen, wie auch dieser Friede aussieht. Aber
freilich, die Errettung kann dem deutschen Volke aus
seiner Not, aus seinem Elend, aus dem unerhörten Druck
nicht kommen in der gegenwärtig bestehenden Gesellschafts-
ordnung.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Die Produktivität der Landwirtschaft und der Industrie
kann aufs höchste gesteigert werden, wenn an Stelle der
Wirtschaftsordnung, deren keinzige Triebfeder der Profit
ist, die sozialistische Wirtschaftsordnung tritt. Die Ver-
gesellschaftung der Produktionsmittel ist notwendig.
(Zuruf.
— Auf Rußland können Sie nicht hinweisen, meine Herren,
weil die Zustände in Deutschland ökonomisch viel reifer
sind als in Rußland. In Deutschland und in England
— das gestehen auch bürgerliche Nationalökonome zu —
hat die Produktion einen solchen Reifegrad erreicht, daß
es möglich ist, ohne starke Erschütterungen die kapitalistische
Ordnung in eine sozialistische Wirtschaftsordnung über-
zuführen.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Wie der Militarismus zusammengebrochen ist, so wird
auch dem Kapitalismus bald seine Sterbestunde läuten.
Die Götzendämmerung für das alte System ist herein-
gebrochen. Schon zeigt sich die Morgenröte einer neuen
Zeit. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen
wird aufhören; nur Freie und Gleiche wird es dann
geben. Von der Kühnheit und Entschlossenheit der Arbeiter,
namentlich der deutschen Arbeiter, aber freilich auch der
Arbeiter der auderen Länder wird es abhängen, ob diese
die Menschheit befreiende Umwälzung bald erfolgt, oder (D)
ob wir noch schwere Zeiten bis dahin durchzumachen
haben. Wir haben Vertrauen zu den Arbeitern; wir
sind überzeugt, daß aus all dem Elend am letzten Ende
doch hervorgehen wird die volle Befreiung der Menschheit.
(Lebhafter Beifall bei den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Präsident: Ich erteile das Wort dem Herrn Vize-
kanzler.
v. Payer, Wirklicher Geheimer Rat, Stellvertreter
des Reichskanzlers: Meine Herren, aus der großen Fülle
von Material, das die Verhandlungen gestern und heute
gebracht haben, kann ich selbstverständlich nur einige
Punkte hervorheben, die mir der Erörterung besonders
bedürftig erscheinen. Ich muß es vor allem ablehnen,
mich auf die Auseinandersetzungen zwischen den ver-
schiedenen Parteien einzulassen, und ich muß es mir auch
versagen, mich einzulassen auf die Darstellung der politischen
Vorgänge der letzten Wochen und Monate, die der Herr
Vorredner soeben, reichlich einseitig nach meiner Kenntnis
der Verhältnisse, gegeben hat. Ich will nur dic anti-
monarchischen Extravaganzen, die dem Herrn Vorredner
ja geläufig sind, und die er auch heute wieder vorgebracht
hat, zurückweisen an sich, namentlich aber auch unter dem
Gesichtspunkte, daß mir jetzt die Stunde nicht zu sein
scheint, in der mau ohne Gefährdung unserer Stellung nach
außen derartige Probleme hier zur Erörterung stellen kann.
(Unruhe und Zurufe von den Unabhängigen
Sozialdemokraten.)
Ich möchte auch noch sagen, daß es kein Ubermut und
kein Ausfluß des Kapitalismus und auch keine Torheit
ist, wenn in den heutigen Tagen das deutsche Volk sich
rüsten will für den schlimmsten Fall
(sehr richtig! links),
Die Beamten, die An-(O)