Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

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(Haase [Königsberg!, Abgeordneter.) 
Meine Herren, wir sehen trübe in die Zukunft, trübe, 
weil wir fürchten, daß der Friede uns nicht die Ruhe 
bringen wird. Wir erwarten von der Regierung, daß sie 
aus eigener Initiative den Artikel 5 des Prager Friedens 
endlich zur Erfüllung bringen wird. 
(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Die rein denisch sprechenden, fühlenden und denkenden 
Nordschleswiger haben nach dem Prager Friedensvertrage 
ein Recht, daß sie endlich darüber abstimmen können, zu 
welchem Staate sie gehören wollen. 
(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Warten Sie nicht, bis auf dem Friedenskongreß auch 
diese Frage zu einer internationalen Frage gemacht wird. 
Wir sehen die Völker nicht als Besitztümer an, die 
hin und hergeschoben werden können, von einem Staate 
zum andern. Wir haben uns deswegen auch dagegen 
gewandt, daß Frankreich durch die Gewalt des Schwertes 
Elsaß-Lothringen zurückerobern wollte. Wir stehen des- 
wegen heute auf dem Standpunkte, — und wir freuen 
uns, daß unsere französischen Freunde ihn teilen —, daß 
die elsaß-lothringische Bevölkerung darüber entscheiden 
muß, zu welchem Staate sie gehören will. Nicht die Staats- 
grenzen, auch nicht die Sprachgrenzen sind entscheidend in 
dieser Frage: entscheidend ist der Wille der Bevölkerung. 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Wir sind nicht enttäuscht über den Verlauf der Dinge. 
Wir haben vorausgesehen, daß es so mit Elsaß-Lothringen 
kommen würde. Wir haben von Anfang an darauf hin- 
gewiesen, daß es unmöglich ist, die elsaß-lothringische 
Frage zu einer ausschließlich deutschen Frage zu stempeln, 
daß sie eine internationale Frage sei. 
Wir stehen genau so zur polnischen Frage. Noch 
vor der polnischen Fraktion hat meine Fraktion in diesem 
Hause das Recht der Polen, auch der deutschen Polen, 
ihr Geschick selbst zu bestimmen, sich mit den Polen der 
anderen Länder zu einem einheitlichen Staate zu ver- 
einigen, verkündigt. 
(Bravo! bei den Polen.) 
Aber, meine Herren, auch hier sind wir Gegner jener 
polnischen Hitzköpfe, welche jetzt alles Land, das irgend 
einmal unter polnischer Herrschaft war, als polnisches 
Land bezeichnen möchten. Nicht die Sprache darf ent- 
scheiden, sondern wiederum nur der Wille der Bevölkerung. 
Wir sind darauf angewiesen, mit dem neuen polnischen 
Reiche im Frieden zu leben, und es sollte von beiden 
Seiten, von deutscher Seite wie von polnischer Seite, 
jetzt alles unterbleiben, was diese beiden Nationen durch- 
einanderhetzen könnte. Es wäre ein Unglück, wenn durch 
unbegründete nationalistsche Aspirationen die Verbindung 
zwischen Ostpreußen und dem übrigen Teile des Reiches 
unterbunden würde. « 
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Da klar zu prüfen: was will die Bevölkerung? — und nicht 
etwa: was begehrt ein Teil der Polen? — das ist die 
gemeinsame Aufgabe der Deutschen und Polen, die das 
Selbstbestimmungsrecht in jeder Beziehung achten. 
Meine Herren, wir sehen trübe in die Zukunft nicht 
nur wegen all der schweren Leiden, mit denen unser Volk 
erfüllt ist und die in ihrer vollen Tragik erst nach dem 
Kriege hervortreten werden, sondern auch wegen der un— 
erschwinglichen Lasten, die auf ihm ruhen und die von 
Tag zu Tag größer werden. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Meine Herren, wenn Sie den Krieg fortsetzen, so müssen 
Sie sich doch sagen, daß zu den Hunderten von Millionen 
— denn um diese Summe handelt es sich ja schon — 
noch weitere Zehner von Millionen kommen werden. Wer 
wird denn diese Lasten tragen? Zum größten Teil 
werden es wiederum die Arbeiter, die Handwerker, die 
kleinen Leute sein. Der Mittelstand ist zerrieben in einer 
  
Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 23. Oktober 1918. 
Art, wie es niemand geahnt hat. 
gestellten werden unter dem Steuerdruck und der Teuerung 
bei ihren geringen Gehältern leiden wie nie zuvor. Diese 
Lasten zu vermehren, ist unverantwortlich. 
Das deutsche Volk wird nicht untergehen — wird 
nicht untergehen, wie auch dieser Friede aussieht. Aber 
freilich, die Errettung kann dem deutschen Volke aus 
seiner Not, aus seinem Elend, aus dem unerhörten Druck 
nicht kommen in der gegenwärtig bestehenden Gesellschafts- 
ordnung. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Die Produktivität der Landwirtschaft und der Industrie 
kann aufs höchste gesteigert werden, wenn an Stelle der 
Wirtschaftsordnung, deren keinzige Triebfeder der Profit 
ist, die sozialistische Wirtschaftsordnung tritt. Die Ver- 
gesellschaftung der Produktionsmittel ist notwendig. 
(Zuruf. 
— Auf Rußland können Sie nicht hinweisen, meine Herren, 
weil die Zustände in Deutschland ökonomisch viel reifer 
sind als in Rußland. In Deutschland und in England 
— das gestehen auch bürgerliche Nationalökonome zu — 
hat die Produktion einen solchen Reifegrad erreicht, daß 
es möglich ist, ohne starke Erschütterungen die kapitalistische 
Ordnung in eine sozialistische Wirtschaftsordnung über- 
zuführen. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Wie der Militarismus zusammengebrochen ist, so wird 
auch dem Kapitalismus bald seine Sterbestunde läuten. 
Die Götzendämmerung für das alte System ist herein- 
gebrochen. Schon zeigt sich die Morgenröte einer neuen 
Zeit. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen 
wird aufhören; nur Freie und Gleiche wird es dann 
geben. Von der Kühnheit und Entschlossenheit der Arbeiter, 
namentlich der deutschen Arbeiter, aber freilich auch der 
Arbeiter der auderen Länder wird es abhängen, ob diese 
  
die Menschheit befreiende Umwälzung bald erfolgt, oder (D) 
ob wir noch schwere Zeiten bis dahin durchzumachen 
haben. Wir haben Vertrauen zu den Arbeitern; wir 
sind überzeugt, daß aus all dem Elend am letzten Ende 
doch hervorgehen wird die volle Befreiung der Menschheit. 
(Lebhafter Beifall bei den Unabhängigen 
Sozialdemokraten.) 
Präsident: Ich erteile das Wort dem Herrn Vize- 
kanzler. 
v. Payer, Wirklicher Geheimer Rat, Stellvertreter 
des Reichskanzlers: Meine Herren, aus der großen Fülle 
von Material, das die Verhandlungen gestern und heute 
gebracht haben, kann ich selbstverständlich nur einige 
Punkte hervorheben, die mir der Erörterung besonders 
bedürftig erscheinen. Ich muß es vor allem ablehnen, 
mich auf die Auseinandersetzungen zwischen den ver- 
schiedenen Parteien einzulassen, und ich muß es mir auch 
versagen, mich einzulassen auf die Darstellung der politischen 
Vorgänge der letzten Wochen und Monate, die der Herr 
Vorredner soeben, reichlich einseitig nach meiner Kenntnis 
der Verhältnisse, gegeben hat. Ich will nur dic anti- 
monarchischen Extravaganzen, die dem Herrn Vorredner 
ja geläufig sind, und die er auch heute wieder vorgebracht 
hat, zurückweisen an sich, namentlich aber auch unter dem 
Gesichtspunkte, daß mir jetzt die Stunde nicht zu sein 
scheint, in der mau ohne Gefährdung unserer Stellung nach 
außen derartige Probleme hier zur Erörterung stellen kann. 
(Unruhe und Zurufe von den Unabhängigen 
Sozialdemokraten.) 
Ich möchte auch noch sagen, daß es kein Ubermut und 
kein Ausfluß des Kapitalismus und auch keine Torheit 
ist, wenn in den heutigen Tagen das deutsche Volk sich 
rüsten will für den schlimmsten Fall 
(sehr richtig! links), 
Die Beamten, die An-(O)
	        
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