Reichstag. — 194. Sitzung. Mittwoch den 25. Oktober 1918.
(Dr. v. Payer, Stellvertreter des Reichskanzlers.)
(4) darauf, ob der einzelne in der Opposition steht oder sich
in der Regierung befindet, hinter ihnen steht.
(Bravol links.) .
Der Herr Redner der konservativen Partei hat von
dem der Opposition zustehenden Recht der Kritik in einer
Richtung, glaube ich, fast zuviel Gebrauch gemacht; er
hat sich nämlich zu eingehend mit der Note abgegeben,
die wir vor einigen Tagen abgesandt haben. Seine Billi—
gung war selbstverständlich nicht zu erwarten, seine Billi—
gung, hätte, glaube ich, auch nur verwirrend gewirkt. Wir
müssen es ablehnen, ihm auf seine Ausführungen zu folgen,
und er wußte auch schon gestern, daß wir ihm auf diesem
Gebiete nicht folgen können. Meine Herren, die Note ist
jetzt in der Hand des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Wir erwarten die Antwort auf dieselbe. Was ich hier
ausspreche, das gilt auch für den Redner der äußersten
Linken, für den Herrn Abgeordneten Haase, der sich auch
mit dieser Note befaßt hat. Wir sind der Meinung, daß
es schädlich, mindestens aber gefährlich ist, wenn die
Parteien oder gar die Regierung sich in Auseinander-
setzungen über den Inhalt und über die Bedeutung dieser
Note einlassen, wenn sie sich darüber herumstreiten, wenn
sie dadurch den Gehalt und die Bedeutung der Note ent-
werten würden und wenn man es zulassen würde, daß
jeder das, was ihm gutdünkt, in diese Note so lange
hineinlegt und so lange aus dieser Note herausliest, bis
schließhlich kein Mensch mehr wüßte, was eigentlich der
Inhalt sein soll.
(Zurufe rechts und bei den Unabhängigen Sozial-
demokraten.)
Unter diesen Umständen sollte jeder mit Genugtuung ver-
zichten, die in dem Versuch des Beweises liegt, daß man
klüger und weiser ist und einen weiteren Blick hat als
die anderen. iese Genugtuung ist, wenn sie Frieden
und Einigkeit zu hindern geeignet ist, zu teuer erkauft.
Der konservative Redner hat gestern auch darüber
Beschwerde geführt, daß der Reichstag jetzt von der
Regierung im ganzen ungenügender informiert wird,
als das unter den früheren Regierungen der Fall
gewesen sei. Das ist ein Irrtum. Der Reichstag
wird unter der neuen Regierung genau so auf dem
laufenden gehalten, wie er unter den früheren gehalten
worden ist. Der Irrtum mag wohl daher kommen,
daß einmal eine Ausnahme stattgefunden hat. Das war
im Sommer vorigen Jahres, als die Antwort auf die
Papstnote beraten wurde. Zu der Besprechung des
Entwurfs dieser Note wurde von der damaligen Re-
gierung der sogenannte Siebenerausschuß einberufen, und
er hat damals mitberaten. Dieser Siebenerausschuß hat
aber ein längeres Leben nicht fristen können, da in ihm
neben den jetzigen Mehrheitsparteien nur noch die Kon-
servativen vertreten gewesen sind, während die anderen
Parteien außer diesen fünf Fraktionen keine Vertretung
in ihm gefunden haben. So bat er sich keiner sonder-
lichen Beliebtheit erfreut und ist er stillschweigend ein-
geschlummert, ohne daß jemand einmal den Wunsch aus-
gesprochen hätte, man solle wieder auf ihn zurückkommen.
Damals also war es anders. Aber sonst, zu allen
anderen Zeiten im Kriege, ist es so gewesen, wie es jetzt
auch gehalten wird.
Eines darf ich doch wohl auch sagen — und das
werden uns die Herren nicht bestreiten können —, daß,
wenn sie einmal einen von uns um eine Auskunft an-
gegangen haben, die wir nach Lage der Sache mit gutem
Gewissen geben konnten, sie ihnen von jedem von uns
auch jederzeit willig gegeben worden ist.
Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu dem
Antrag, der von einer Reihe von Parteien gestern in
diesem Hause eingebracht worden ist, dem Antrag, der
darauf abzielt, daß dem Reichskanzler das Vertrauen des
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Reichstags oder seiner Mehrheit bekundet werden soll. (0)
Es scheint, daß nun auch formell das parlamentarische
System das erste Mal praktisch in die Erscheinung treten
soll. Wir in der Regierung haben diese Vertrauenskund—
gebung nicht verlangt. Sie ist uns aber selbstverständlich
willkommen. Wir haben unsererseits das Vertrauen
und wir brauchen, wie ich Ihnen schon auseinander—
gesetzt habe, auch das Vertrauen der Mehrheit dieses
Reichstags. Vielleicht leistet es gegen innen und gegen
außen gute Dienste, wenn jetzt auch formell bekundet
wird, daß dieses Vertrauen vorhanden ist. Mit der Ruhe
eines guten Gewissens schauen wir dieser ersten Ent-
scheidung des Reichstags als Gerichtshof entgegen.
(Lebhafte Zustimmung links. — Zurufe rechts.)
Vizepräsident Dove: Das Wort hat der Herr Ab-
geordnete Stychel. — Ich bitte um etwas mehr Ruhe!
Stychel, Abgeordneter: Meine Herren, bevor ich
mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich noch einige
Worte vorausschicken zu den Bemerkungen, die von seiten
des Herrn Grafen Westarp gemacht wurden. Herr
Graf Westarp verlangte kategorisch im Gegensatz zum
Inhalt der Rede des Herrn Reichskanzlers die Unver-
sehrtheit der deutschen Reichsgrenzen und erklärte dabei,
kein Fußbreit deutschen Bodens im Osten dürfe abgetreten
werden. Meine Herren, die Gerechtigkeit und die Polen
verlangen keinen deutschen Boden. Aber das ist klar, der
chauvinistische Grundsatz: „Wo der Deutsche einmal Fuß
gefaßt hat, da ist und bleibt deutscher Boden“, hat seine
Geltung verloren.
(Sehr richtig! bei den Polen.)
Graf Westarp meinte, die Ansprüche der Polen auf
Restitution seien unerhörte Ansprüche. Es wird sich ja in
der internationalen Friedenskonferenz zeigen, wie dort die
Sache aufgefaßt wird.
Sonderbarerweise kann man heute eine Harmonie (O)
zwischen zwei Extremen konstatieren, zwischen Herrn Grafen
Westarp und Herrn Abgeordneten Haase.
(Heiterkeit.)
Auch Abgeordneter Haase hat sich aufgelehnt gegen eine
Abtretung von polnischen Landesteilen im preußischen
Teilungsgebiet, welche eine Abschneidung Ostpreußens zur
Folge hätte. Das ist bezeichnend; aber ich glaube, es ist
nicht vorteilhaft für die Versuche, möglichst bald zum
Frieden zu kommen, nicht vorteilhaft für die Notwendig-
keit, die Regierung bei diesen Versuchen auch durch die
öffentliche Meinung zu stützen.
Meine Herren, Herr Abgeordneter Naumann hat
gewünscht, Zweideutigkeiten müßten vermieden werden,
Das ist auch unser Wunsch.
(Sehr richtig! bei den Polen.)
Darum reden wir; darum treten wir Polen aus der
Reserve heraus, die wir uns bisher auferlegt haben.
(Hört! hört! — Unruhe.)
Einmal muß doch die Sache klar werden.
(Zuruf.)
Meine Herren, das, was wir von seiten des Herrn
Grafen Westarp gehört haben, war eine Provokation.
(Widerspruch rechts.)
— Gewiß, und wir haben das Recht und die Pflicht,
unsere Auffassung auch ganz deutlich hier auszusprechen.
(Sehr richtig! bei den Polen.)
Meine Herren, unsere Auffassung der jetzigen Lage
ist naturgemäß eine ganz andere wie die deutsche Auf-
fassung. Das läßt sich denken. Unsere Gemütsstimmung
ist ebenfalls eine andere. Aber, meine Herren — ich will
das vorausschicken —, ich habe keine Absicht, das gebeugte
deutsche Gemüt, das Nationalgefühl der Deutschen in
irgendeiner Weise zu verletzen. Wir haben Verständnis
für die jetzige Gemütsstimmung in Deutschland, denn wir