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(Stychel, Abgeordneter.)
Bauernbank“" erboten sich zur Regelung der Grundstücks-
seuden, wobei viele das Opfer nicht ahnten, daß
urch die damit verbundene Verfügungsbeschränkung
beim Verkauf ihre Besitzungen an Wert verloren.
Das Enteignungsgesetz hat sich noch besser in das Ge-
dächtnis der ganzen Welt eingeprägt. Als es immer
schwieriger wurde, polnischen Grundbesitz „freihändig“ zu
erwerben, schritt man zur gewaltsamen „Enteignung“.
Der polnische Mann wurde ja früher verdrängt; der
sollte Platz machen für den deutschen. Aber dann kam
die Leutenot, und auf einmal war er sehr erwünscht. Er
sollte hierbleiben, er sollte hier arbeiten; aber er sollte
fremdes Brot essen, er sollte unter fremdem Dache
wohnen, auf fremder Scholle arbeiten, denn ihm wurde
nicht erlaubt, sich aus dem mühsam ersparten Gelde eine
Hütte zu bauen, seinen Landhunger zu stillen. Es kamen
Fälle vor, wo trotz gelungenem Landerwerb obdachlose
Besitzer in Straßengräben, Erdlöchern, Zigeunerwagen
ahen kampieren müssen. Das ist im Gedächtnis der
olen.
Und die Gette oder die administrativen Bestimmungen,
Verordnungen, Instruktionen auf dem Sprachgebiete, über
Sprachgebrauch im Amte, in Versammlungen, in der
Schule, ich deute das nur mit Stichworten an! Die
Leiden des polnischen Kindes in der Schule, die Be-
seitigung der polnischen Unterrichtssprache im allgemeinen,
auch im Religionsunterricht, Geduldsproben von Lehrern
und Kindern, Züchtigung bei natürlich ungenügenden
Fortschritten. Ich erinnere daran, wie man das Kind
zwang, das Gebet zu Gott, die innerste Regung des
Herzens, in eine fremde, dem Kind unverständliche Sprache
zu kleiden, und wenn das Kind es nicht tun wollte, wurde
es gezüchtigt! Ich erinnere nur an Wreschen. Es ist
nicht die einzige Ortschaft; es ist nur ein krasser Typus
des Martyriums des Schulkindes.
ç (Sehr wahr! bei den Polen.)
Eine lange Reihe von Fällen könnte man hier anführen,
landesüblich.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Polen war ein
Dorn im Auge, verschiedenartige Hemmungsversuche: Aus-
schluß der Polen von staatlichen Erwerbsquellen, Beamten-
stellen, Submissionen, der Staatsboykott des polnischen
Kaufmanns und Handwerkers, Heranziehung der Kon-
kurrenz aus anderen deutschen Provinzen!
Nach Ausbruch des Krieges, solange die Lage un-
sicher war, hat man ja „Neuorientierung“ versprochen.
Davon ist aber nichts gehalten worden.
Vexationen in der Kriegszeit seitens der Zensur= und
Kommandobehörden bezüglich Presse, Vereinsgründungen,
Vereinsversammlungen, Theatervorstellungen! Die Ge-
nialität schlesischer Kommandostellen wird in die Geschichte
übergehen. Da wurden Theatervorstellungen verboten,
weil die Stücke in der literarischen, hochpolnischen Sprache
verfaßt waren. Man verlangte die behördlicherseits aus-
findig gemachte sogenannte „wasserpolnische“ Sprache, um
einen Gegegsatz zwischen Stammpolen und „Wasserpolen“
künstlich zu konstruieren und zu erhalten.
Das ist „Neuorientierung“!
Es hat sich während des Krieges bei uns eine Partei
gebildet, „Stronnictwo pracy noradowej“, die Partei für
nationale Arbeit. Diese Partei hatte sich zur Aufgabe
gestellt, unter Anlehnung an die bestehenden Verhältnisse
in Preußen wenigstens eine Art Zufriedenheit im pol-
nischen Volke zu schaffen. Sie hoffte, von der Regierung
auf Grund der versprochenen Neuortentierung durch An-
wendung ihrer besonderen Taktik, mit besserem Erfolg als
die polnische Volksvertretung im Reichstag und Akbge-
ordnetenhaus die politische und sprachliche Gleichberechti-
gung der Polen zu erlangen. In den letzten Tagen
erklärt diese Partei öffentlich, sie löse sich auf, sie hätte
Reichstag. — 194. Sttung. Mittwoch den 23. Oktober 1918.
auch in dem engen Rahmen nichts erreicht.
und weitere Aussicht bieten jetzt die Wilsonschen Grundsätze.
Man begnügte sich aber nicht mit der Polenpolitik
innerhalb der preußischen Grenzen. Wenn irgend einmal
in dem russischen oder österreichischen Teilungsgebiet die
Lage der Polen sich zu bessern schien, kamen von hier aus
Proteste und Ratschläge auf diplomatischem Wege oder bei
Zusammenkünften hoher und höchster Personen, um die
Besserung der Lage zu inhibieren.
Die Kaisermanifeste über die Bildung eines soge-
nannten „selbständigen“ Staates in Kongreßpolen, ge-
priesen als besonderes „Entgegenkommen“, lehnte das Polen-
volk in seiner kompakten Masse ab. Eine solche, in solchen
Grenzen gedachte „Selbständigkeit“, bei voller politischer,
wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeit von den
Zentralmächten, konnte den Polen nicht passen. Wofür
sollen denn die Polen dankbar sein, wofür an diesem
Staate festhalten? Die Politik der preußischen Staats-
raison rächt sich jetzt am Urheber selbst.
(Sehr wahr! bei den Polen.)
Ich sprach vorhin kurz über Vexationen seitens
der Zensur und Kommandobehörden. Ich möchte auf
einen Vorfall aus letzter Zeit näher eingehen. Ein Auf-
ruf der sämtlichen polnischen politischen Organisationen
und der gesamten polnischen Presse sollte veröffentlicht
werden. Die deutsche Presse hat ihn bringen können.
Aber in Posen wurden die Zeitungsleiter vor die amt-
lichen Stellen zitiert, der Druck untersagt, und wenn ste
versuchen würden, diesen Aufruf zu veröffentlichen, dann
würde das ein Landesverrat sein.
(Hört. hört! bei den Polen.)
Damit Sie beurteilen können, ob diese Verfügung der Zensur-
behörde angesichts der Friedensverhandlungen auf Grund
der auch diesseits approbierten Wilsonschen Grundsätze und
der freien Besprechung in der deutschen Presse begründet
und zulässig war, werde ich mir erlauben, den Aufruf, (D)
der ganz kurz ist, zu verlesen.
Nach über vier Jahre lang tobenden Kriegs-
schrecken und unermeßlichen Leiden, von denen die
besten Kräfte der Menschheit vernichtet werden,
tauchen aus dem blutigen Chaos die Konturen
einer neuen Weltordnung auf der Basis der Ge-
rechtigkeit und des Selbstbestimmungsrechts aller
Völker auf. Das im Sinne obiger Grundsätze
festgelegte Programm eines dauerhaften Friedens,
das in den bekannten Erklärungen des Präsidenten
Wilson enthalten ist, wurde nunmehr auch durch
die deutsche Regierung, wie es aus der letzten
deutschen Friedensnote vom 5. Oktober 1918 zu
ersehen ist, angenommen. Demgemäß hat auch
für uns Polen die Stunde geschlagen, in der
wir unsere Stimme erheben müssen, um die un-
verjährten Rechte der Nation zu fordern.
Die Teilung Polens war die krasseste Ver-
gewaltigung internationaler Gerechtigkeit in der
Geschichte der Neuzeit, und dadurch wurde sie zur
Hauptquelle dieser Gewalt= und Bedrückungs-
politik, die in Europa den Herd ewiger Unruhen
bis in die heutigen Tage hinein bildete. Wer
also aufrichtig und ehrlich die Hand zum Auf-
bauen einer neuen, auf der Achtung des Rechtes
basierten Zukunft der Völker mit anlegen will,
der muß die Restitution des den Polen zugefügten
Unrechts als erste, unerläßliche Bedingung dieses
großen Werkes betrachten.
Nur die Vereinigung zu einem Ganzen, aller
in den polnischen Ländern wohnenden Volksteile,
die die vollen Rechte eines Staates besitzen, kann
die Gewährung eines dauernden Bündnisses der
Völker bilden.
Eine bessere (O)