Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

Reichstag. — 192. Sitzung. Sonnabend den 5. Oktober 1918. 
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(Prinz Max von Baden, Reichskanzler.) 
(A) weise, daß ich dem Reichstage ohne Verzug vor der 
(:8) 
Offentlichkeit die Grundsätze darlege, nach denen ich mein 
verantwortungsschweres Amt zu führen gedenke. Diese 
Grundsätze sind, bevor ich mich zu der Übernahme der 
Kanzlergeschäfte entschloß, im Einpernehmen mit den ver- 
bündeten Regierungen und mit den Führern der Mehr- 
heitsparteien dieses hohen Hauses festgelegt worden. Sie 
enthalten mithin nicht nur mein eigenes politisches Be- 
kenntnis, sondern auch das des weit überwiegenden Teiles 
der deutschen Volksvertretung, also der deutschen Nation, 
die den Reichstag auf Grund des allgemeinen, gleichen 
und geheimen Wahlrechts nach ihrem Wunsche zusammen- 
gesetzt hat. 
Nur die Tatsache, daß ich die Uberzeugung und den 
Willen der Mehrheit des Volkes hinter mir weiß, hat 
mir die Kraft gegeben, in der schweren und ernsten Zeit, 
die wir miteinander erleben, die Leitung der Reichsgeschäfte 
auf mich zu nehmen. Die Schultern eines einzelnen 
wären zu schwach, um allein die ungeheure Verantwortung 
tragen zu können, die der Regierung in der Gegenwart 
zufällt. Nur wenn das Volk an der Bestimmung seiner 
Geschicke im weitesten Umfange tätigen Anteil nimmt, die 
Verantwortlichkeit sich also mit auf die Mehrheit seiner 
frei erwählten politischen Führer erstreckt, kann der leitende 
Staatsmann seinen Anteil an ihr im Dienste des Volkes 
und Vaterlandes mit Zuversicht übernehmen. 
(Bravol und sehr richtig! links.) 
Der Entschluß, dies zu tun, ist mir besonders da- 
durch erleichtert worden, daß in der neuen Regierung 
auch maßgebende Vertrauensmänner der Arbeiterschaft 
zu den höchsten Amtern im Reiche gelangt sind. 
(Beifall links.) 
Ich sehe darin die sichere Bürgschaft dafür, daß die neue 
Regierung von dem festen Vertrauen der breiten Massen 
des Volkes getragen ist, 
· (erneuter Beifall) 
ohne dessen überzeugungstreue Gefolgschaft ihr ganzes 
Handeln von vornherein zum Mißlingen verurteilt wäre. 
(Lebhafter Beifall links.) 
Was ich heute hier ausspreche, sage ich also nicht 
nur in meinem Namen und in dem meiner amtlichen Mit- 
arbeiter, sondern auch im Namen des deutschen Volkes. 
Das Programm der Mehrheitsparteien, auf die ich 
mich stütze, enthält zunächst ein Bekenntnis zu der 
Antwort der früheren Reichsregierung auf die Note des 
Papstes vom 1. August 1917 und die bedingungslose 
Zustimmung zu der Entschließung des Reichstags vom 
19. Juli desselben Jahres. 
(Bravo!l bei den Sozialdemokraten.) 
Es bekundet ferner die Bereitwilligkeit, sich einem all- 
gemeinen Bunde der VBölker auf Grund der Gleich- 
berechtigung aller, also der Starken und Schwachen, an- 
zuschließen. 
(Beifall links.) 
Die Lösung der vielumstrittenen belgischen Frage 
sieht es in der völligen Wiederherstellung Belgiens, ins- 
besondere seiner Unabhängigkeit und seines Gebietsumfangs. 
Auch eine Verständigung über die Entschädigungsfrage 
soll angestrebt werden. « 
Die bisher geschlossenen Friedensverträge will das 
Programm zu keinem Hindernis für den allgemeinen 
Friedensschluß werden lassen. Es strebt im besonderen 
an, daß sich in den baltischen Ländern, in Litauen und 
Polen alsbald auf breiter Grundlage Volksvertretungen 
bilden. Das Zustandekommen der dazu nötigen Voraus- 
setzungen wollen wir ohne Verzug durch die Einführung 
von Zivilverwaltungen fördern. Ihre Verfassung und 
ihre Beziehungen zu den Nachbarvpölkern sollen jene 
Gebiete selbständig regeln. 
(Bravo! links.) 
angehören. 
  
In der inneren Politik habe ich durch die Methode, 
in der sich die Regierungsbildung vollzog, klare und feste 
Stellung genommen. Auf meinen Vorschlag sind die 
Führer der Mehrheitsparteien zu meinen unmittelbaren 
Ratgebern berufen worden. Meine Herren, ich war der 
Überzeugung, daß die Einheitlichkeit der Reichsleitung 
nicht nur gewährleistet werden sollte durch die bloß 
schematische Parteizugehörigkeit der einzelnen Regierungs- 
mitglieder, sondern ich hielt für fast noch wichtiger die 
Einheitlichkeit der Gesinnung. 
(Beifall links.) 
Von diesem Gesichtspunkt bin ich ausgegangen auch bei 
der Wahl meiner Mitarbeiter, die nicht dem Parlament 
Ich habe das größte Gewicht darauf gelegt, 
daß die Mitglieder der neuen Reichsleitung auf dem 
Standpunkt des Rechtsfriedens stehen, 
(Bravol) 
unabhängig von der Kriegslage, daß sie sich zu diesem 
Standpunkt auch öffentlich bekannt haben in einem Zeit- 
punkt, da wir auf dem Höhepunkt unserer militärischen 
Erfolge standen. 
(Sehr richtig! links.) 
Meine Herren, ich bin überzeugt, daß die Art, in 
der jetzt die Reichsleitung unter Mitwirkung des Reichs- 
tags gebildet worden ist, nicht etwas Vorübergehendes 
darstellt, und daß im Frieden eine Regierung nicht wieder 
gebildet werden kann, die sich nicht stützt auf den Reichstag 
und die nicht aus ihm führende Männer entnimmt. 
(Bravo! links.) 
Der Krieg hat uns über das alte, vielfach zerrissene 
Parteileben hinausgeführt, das es so sehr erschwerte, 
einen einheitlichen, entschlossenen politischen Willen zur 
Durchführung zu bringen. Mehrheitsbildung heißt poli- 
tische Willensbildung, und ein unbestreitbares Ergebnis 
des Krieges ist, daß in Deutschland zum ersten Male 
große Parteien sich zu einem festen, einheitlichen Programm 
zusammengeschlossen haben und damit in die Lage ge- 
kommen sind, das Schicksal des Volkes von sich aus mit- 
zubestimmen. Dieser Gedanke wird niemals erlöschen, 
diese Entwicklung niemals rückgäugig gemacht werden. 
(Bravol links.) 
Dabei vertraue ich, daß, solange Deutschlands Geschick 
von- Gefahren umbrandet ist, auch die außerhalb der 
Mehrheit stehenden Volkskreise und deren Vertreter, die 
nicht der Reichsleitung angehören, alles Trennende zurück- 
stellen und dem Vaterlande geben, was ihm heute gebührt. 
(Lebhaftes Bravo links.) 
Diese Entwicklung macht eine Anderung unserer ver- 
fassungsrechtlichen Vorschriften im Sinne des Kaiserlichen 
Erlasses vom 30. September erforderlich, die es ermög- 
licht, daß diejenigen Mitglieder des Reichstags, die in 
die Reichsleitung eintreten, ihren Sitz im Reichstage be- 
halten. 
. (Bravo! links.) 
Eine entsprechende Vorlage ist dem Bundesrate zagc- 
gangen und wird Ihrer Beschlußfassung unverzüglich 
unterbreitet werden. 
(Bravo! links.) 
Meine Herren, bleiben wir eingedenk der Worte, die 
der Kaiser am 1. August 1914 gesprochen und die ich im 
Dezember vorigen Jahres in Karlsruhe in die Worte 
fassen durfte: „Wohl gibt es Parteien, aber es sind alles 
Deutsche.“ 
(Bravo! links.) 
Unter dem Zeichen dieses Kaiserwortes muß sich auch die 
pvolitische Emwicklung in dem führenden deutschen Bundes- 
staat, Preußen, vollziehen und die Botschaften des Königs 
von Preußen, die das demokratische Wahlrecht versprechen, 
schnell und restlos erfüllt werden. 
(Lebhaftes Bravo links.) 
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