Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

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Reichstag. — 195. Sitzung. Donnerstag den 24. Oktober 1918. 
  
(Ledebour, Abgeordneter.) 
(A) wird, daß jetzt bereits unter der Hand von militärischen 
Stellen aber auch sonst im Lande für den Glauben 
mobil gemacht wird, daß die Reichsregierung eine Über- 
eilung begangen habe, als sie Wilson den Frieden anbot, 
und daß die Sache sich noch ändern ließe. Diese Mit- 
teilungen waren schon vorher von verschiedenen Seiten 
ausgegangen, ehe Herr General Scheüch seinen Stempel 
darauf drückte. 
(Zurufe.) 
— Also Herr General Scheüch hat mit seinen Aus- 
führungen direkt gegen die Reichsregierung frondiert, und 
es war ja nichts interessanter, als daß er sich für seine 
Anschauung berief auf die Zustimmung — wessen? auf 
die Außerung des Herrn Grafen Westarp über die Kriegs- 
lage, der genau in dieselbe Kerbe haute, der aber, weil 
er diese Ansicht vertrat, sich geflissentlich und bewußt in 
den schärfsten Gegensatz zu der gegenwärtigen Reichs- 
regierung setzte. Wir haben also das erbauliche 
Schauspiel heute hier erlebt — selbst in dieser 
Lage, meine Herren; so wenig Rücksicht nehmen 
die Herren General Scheüch und Genossen darauf, 
daß sie ihre Parteianschauungen einmal unterdrücken 
müssen, wenn sie in dieser Stellung sind — wir haben 
das erbauliche Schauspiel erlebt, daß, wo die Reichs- 
regierung sich bemüht, nach besten, wenn auch unzuläng- 
lichen Kräften das Friedensangebot zu vertreten, der 
Herr Kriegsminister ihnen die Suppe versauert hat. Es 
bleibt also bei der alten Tradition der militaristischen 
Sonderpolitik. Das ist auch ganz begreiflich: so leicht 
gibt der preußische Militarismus die Macht nicht aus 
der Hand. 
Wie die Mehrheitsparteien des Hauses und die 
Herren in der gegenwärtigen Regierung es sich vorgestellt 
aben, ist die Sache nicht zu machen. Nach meiner An- 
cht müßte da in der schärfsten Weise eingegriffen werden. 
(B) Wenn das Ausland und die gegnerischen Mächte glauben 
sollen, daß mit der Friedensbereitschaft des Deutschen 
Reiches es der Regierung wirklich ernst ist, dann muß 
sofort dafür gesorgt werden, daß der Herr General Scheüch 
nach diesem kurzen Intermezzo auf dem Ministersessel eine 
andere Tätigkeit zugewiesen bekommt. Ich wünschte nicht, 
daß er den Zylinderhut nimmt; denn bei der Seltenheit 
militärischer Kapazitäten, über die wir gegenwärtig ver- 
fügen, glaube ich, daß er sehr gut wieder an die Front 
geschict werden kann. Aber wenn es Ihnen erust ist mit 
dem, was Sie erklärt haben, dann geht es nicht, daß 
Sie Ihre Friedensbemühungen durch derartige militärische 
Extravaganzen schädigen lassen. 
Meine Herren, es muß meiner Ansicht nach — das 
ist aber eine Sache, die jetzt nicht ausgetragen werden 
kann — mit denjenigen Persönlichkeiten abgerechnet werden, 
die wirklich die Verantwortung dafür tragen, daß das 
deutsche Bolk bis zum letzten Moment derartig irre geführt 
worden ist. Ich stelle hiermit nochmals fest: bis zum 
Eintritt des Zusammenbruchs, ist uns noch durch den 
Herrn Staatssekretär v. Hintze und seine Beauftragten 
und durch den Herrn General v. Wrisberg als Beauf- 
tragten des Generalstabs immer wieder versichert worden: 
die Front steht fest, wir können den Krieg weiterführen 
und wir können zu einem erfolgreichen Ende Krieg führen. 
Das war noch 2 bis 3 Tage vor dem Zusammenbruch 
Der Zusammenbruch trat ein im Anschluß an die bul- 
garische Kapitulation. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte 
sich wiederum die vollkommene Unzulänglichkeit unserer 
Regierung, unseres diplomatischen Dienstes. Denn damals 
glaubten die Vertreter des Auswärtigen Amtes, uns ver- 
sichern zu können, daß das bulgarische Angebot an die 
Ententemächte nur eine Übereilung des Herrn Malinow 
gewesen sei; die Sache lasse sich noch redressieren. 
Ich muß da auf Herrn Kreth eingehen, der glaubte, 
  
hier heute folgende Bemerkungen sich erlauben zu können: (CO) 
wenn Herren aus dem Parlament, aus der Demokratie 
die Regierung annehmen, die vom Regieren nichts ver- 
stehen, dann muß es so kommen. Ja, meine Herren, die 
amtierenden Bureaukraten, Diplomaten und alles, was 
damit zusammenhängt, besonders die politisierenden Gene- 
rale haben jetzt den vollgültigen Nichtbefähigungsbeweis 
für das Regieren so offenkundig vor aller Welt geliefert, 
daß es erstaunlich ist, wie ein Wortführer dieser ver- 
sivpten Interessentenwirtschaft sich erlauben kann, im 
Deutschen Reichstag zu sagen, daß Abgeordnete das Re- 
gieren selbstverständlich nicht verstehen. Mit diesem Aus- 
spruch hat Herr Kreth ja gerade den vollgültigen Beweis 
dasür geliefert, daß er der Vertreter einer bisher in 
Preußen und Deutschland regierenden Partei ist, die 
erstens tatsächlich die Regierung geführt hat und zweitens, 
die das Deutsche Reich und das deutsche Volk durch ihre 
Regiererei in das schrecklichste Unglück gestürzt hat. 
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Da muß allerdings aufgeräumt werden mit einem eisernen 
Besen, nicht mit den zusammengebundenen Flederwischen 
der Mittelstandsparteien dieses Hauses. 
(Heiterkeit bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Denn hier handelte es sich nicht bloß darum, daß es ge- 
nügen könnte, den Parlamentarismus in der angebahnten 
Form durchführen. Mit diesem Parlamentarismus, 
meine Herren, sieht es höchst windig aus, Ich weise nur 
auf eine Tatsache hin. Es ist nicht eine Parlamentari- 
sierung der Regierung eingetreten, sondern es sind einige 
Abgeordnete bureaukratisiert worden, 
(Heiterkeit) 
indem sie ins Staatssekretariat übernommen wurden. Das 
hat auf die Parlamentsverhandlungen einen höchst schädi- 
genden Einfluß ausgeübt. 
(Widerspruch.) 
— Jawohl, denn als diese Parlamentsverhandlungen be= (D) 
gannen, wurden sie eröffnet durch den Herrn Reichskanzler 
Prinzen Max von Baden und durch zwei Redner als 
Vertreter der größten Parteien dieses Hauses, deren bis- 
her gewohnte Wortführer man auf dem bureaukratischen 
Ministersessel kaltgestellt hat, und als diese drei Herren 
hintereinander ihre Reden vorlasen, hatte ich den pein- 
lichen Eindruck, als ob wir uns in einer Unterrichts- 
stunde befinden, in der Leseübungen für Minderbegabte 
abgehalten werden. 
(Heiterkeit.) 
Ich erkenne gerne an, daß es im Deutschen Reichstag 
auch Leute gibt, die gut ablesen, voran Herr Scheide- 
mann, der seine Reden Wort für Wort so gut abliest, 
daß Uneingeweihte glauben, er spräche frei. Derartige 
Erscheinungen sind charakteristisch für diese Versammlung. 
Sie sind ein Beweis dafür, wie sehr die Parteien und 
ihre Vertreter darunter leiden, daß sie diese Sorte von 
Parlamentarisierung machen. In einer wirklich parla- 
mentarischen Regierung findet ein beständiger Kampf in 
Rede und Gegenrede zwischen den Regierenden und Nicht- 
regierenden statt. Bei uns geht alles nach dem alten 
Schema. Da werden die Redner der Reihenfolge der 
Fraktionen nach aufgerufen. Unter den gegenwärtigen 
Umständen führt das dann dazu, daß hintereinander die 
Vertreter der Mittelparteien Monologe halten, dann 
kommen wieder hintereinander die verschiedenen Oppostitions- 
parteien. Das ist keine richtige Debatte, denn das 
parlamentarische Leben, der parlamentarische Kampf be- 
dingt Rede und Gegenrede. Die läßt sich nach diesem 
Schema nicht führen, besonders nicht von Leuten, die nur 
das Ablesen gewöhnt sind, was übrigens — ich möchte 
darauf aufmerksam machen — sogar der Geschäftsordnung 
des Hauses widerspricht. 
(Glocke des Präsidenten.)
	        
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