6228
Reichstag. — 195. Sitzung. Donnerstag den 24. Oktober 1918.
(Ledebour, Abgeordneter.)
(A) wird, daß jetzt bereits unter der Hand von militärischen
Stellen aber auch sonst im Lande für den Glauben
mobil gemacht wird, daß die Reichsregierung eine Über-
eilung begangen habe, als sie Wilson den Frieden anbot,
und daß die Sache sich noch ändern ließe. Diese Mit-
teilungen waren schon vorher von verschiedenen Seiten
ausgegangen, ehe Herr General Scheüch seinen Stempel
darauf drückte.
(Zurufe.)
— Also Herr General Scheüch hat mit seinen Aus-
führungen direkt gegen die Reichsregierung frondiert, und
es war ja nichts interessanter, als daß er sich für seine
Anschauung berief auf die Zustimmung — wessen? auf
die Außerung des Herrn Grafen Westarp über die Kriegs-
lage, der genau in dieselbe Kerbe haute, der aber, weil
er diese Ansicht vertrat, sich geflissentlich und bewußt in
den schärfsten Gegensatz zu der gegenwärtigen Reichs-
regierung setzte. Wir haben also das erbauliche
Schauspiel heute hier erlebt — selbst in dieser
Lage, meine Herren; so wenig Rücksicht nehmen
die Herren General Scheüch und Genossen darauf,
daß sie ihre Parteianschauungen einmal unterdrücken
müssen, wenn sie in dieser Stellung sind — wir haben
das erbauliche Schauspiel erlebt, daß, wo die Reichs-
regierung sich bemüht, nach besten, wenn auch unzuläng-
lichen Kräften das Friedensangebot zu vertreten, der
Herr Kriegsminister ihnen die Suppe versauert hat. Es
bleibt also bei der alten Tradition der militaristischen
Sonderpolitik. Das ist auch ganz begreiflich: so leicht
gibt der preußische Militarismus die Macht nicht aus
der Hand.
Wie die Mehrheitsparteien des Hauses und die
Herren in der gegenwärtigen Regierung es sich vorgestellt
aben, ist die Sache nicht zu machen. Nach meiner An-
cht müßte da in der schärfsten Weise eingegriffen werden.
(B) Wenn das Ausland und die gegnerischen Mächte glauben
sollen, daß mit der Friedensbereitschaft des Deutschen
Reiches es der Regierung wirklich ernst ist, dann muß
sofort dafür gesorgt werden, daß der Herr General Scheüch
nach diesem kurzen Intermezzo auf dem Ministersessel eine
andere Tätigkeit zugewiesen bekommt. Ich wünschte nicht,
daß er den Zylinderhut nimmt; denn bei der Seltenheit
militärischer Kapazitäten, über die wir gegenwärtig ver-
fügen, glaube ich, daß er sehr gut wieder an die Front
geschict werden kann. Aber wenn es Ihnen erust ist mit
dem, was Sie erklärt haben, dann geht es nicht, daß
Sie Ihre Friedensbemühungen durch derartige militärische
Extravaganzen schädigen lassen.
Meine Herren, es muß meiner Ansicht nach — das
ist aber eine Sache, die jetzt nicht ausgetragen werden
kann — mit denjenigen Persönlichkeiten abgerechnet werden,
die wirklich die Verantwortung dafür tragen, daß das
deutsche Bolk bis zum letzten Moment derartig irre geführt
worden ist. Ich stelle hiermit nochmals fest: bis zum
Eintritt des Zusammenbruchs, ist uns noch durch den
Herrn Staatssekretär v. Hintze und seine Beauftragten
und durch den Herrn General v. Wrisberg als Beauf-
tragten des Generalstabs immer wieder versichert worden:
die Front steht fest, wir können den Krieg weiterführen
und wir können zu einem erfolgreichen Ende Krieg führen.
Das war noch 2 bis 3 Tage vor dem Zusammenbruch
Der Zusammenbruch trat ein im Anschluß an die bul-
garische Kapitulation. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte
sich wiederum die vollkommene Unzulänglichkeit unserer
Regierung, unseres diplomatischen Dienstes. Denn damals
glaubten die Vertreter des Auswärtigen Amtes, uns ver-
sichern zu können, daß das bulgarische Angebot an die
Ententemächte nur eine Übereilung des Herrn Malinow
gewesen sei; die Sache lasse sich noch redressieren.
Ich muß da auf Herrn Kreth eingehen, der glaubte,
hier heute folgende Bemerkungen sich erlauben zu können: (CO)
wenn Herren aus dem Parlament, aus der Demokratie
die Regierung annehmen, die vom Regieren nichts ver-
stehen, dann muß es so kommen. Ja, meine Herren, die
amtierenden Bureaukraten, Diplomaten und alles, was
damit zusammenhängt, besonders die politisierenden Gene-
rale haben jetzt den vollgültigen Nichtbefähigungsbeweis
für das Regieren so offenkundig vor aller Welt geliefert,
daß es erstaunlich ist, wie ein Wortführer dieser ver-
sivpten Interessentenwirtschaft sich erlauben kann, im
Deutschen Reichstag zu sagen, daß Abgeordnete das Re-
gieren selbstverständlich nicht verstehen. Mit diesem Aus-
spruch hat Herr Kreth ja gerade den vollgültigen Beweis
dasür geliefert, daß er der Vertreter einer bisher in
Preußen und Deutschland regierenden Partei ist, die
erstens tatsächlich die Regierung geführt hat und zweitens,
die das Deutsche Reich und das deutsche Volk durch ihre
Regiererei in das schrecklichste Unglück gestürzt hat.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Da muß allerdings aufgeräumt werden mit einem eisernen
Besen, nicht mit den zusammengebundenen Flederwischen
der Mittelstandsparteien dieses Hauses.
(Heiterkeit bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Denn hier handelte es sich nicht bloß darum, daß es ge-
nügen könnte, den Parlamentarismus in der angebahnten
Form durchführen. Mit diesem Parlamentarismus,
meine Herren, sieht es höchst windig aus, Ich weise nur
auf eine Tatsache hin. Es ist nicht eine Parlamentari-
sierung der Regierung eingetreten, sondern es sind einige
Abgeordnete bureaukratisiert worden,
(Heiterkeit)
indem sie ins Staatssekretariat übernommen wurden. Das
hat auf die Parlamentsverhandlungen einen höchst schädi-
genden Einfluß ausgeübt.
(Widerspruch.)
— Jawohl, denn als diese Parlamentsverhandlungen be= (D)
gannen, wurden sie eröffnet durch den Herrn Reichskanzler
Prinzen Max von Baden und durch zwei Redner als
Vertreter der größten Parteien dieses Hauses, deren bis-
her gewohnte Wortführer man auf dem bureaukratischen
Ministersessel kaltgestellt hat, und als diese drei Herren
hintereinander ihre Reden vorlasen, hatte ich den pein-
lichen Eindruck, als ob wir uns in einer Unterrichts-
stunde befinden, in der Leseübungen für Minderbegabte
abgehalten werden.
(Heiterkeit.)
Ich erkenne gerne an, daß es im Deutschen Reichstag
auch Leute gibt, die gut ablesen, voran Herr Scheide-
mann, der seine Reden Wort für Wort so gut abliest,
daß Uneingeweihte glauben, er spräche frei. Derartige
Erscheinungen sind charakteristisch für diese Versammlung.
Sie sind ein Beweis dafür, wie sehr die Parteien und
ihre Vertreter darunter leiden, daß sie diese Sorte von
Parlamentarisierung machen. In einer wirklich parla-
mentarischen Regierung findet ein beständiger Kampf in
Rede und Gegenrede zwischen den Regierenden und Nicht-
regierenden statt. Bei uns geht alles nach dem alten
Schema. Da werden die Redner der Reihenfolge der
Fraktionen nach aufgerufen. Unter den gegenwärtigen
Umständen führt das dann dazu, daß hintereinander die
Vertreter der Mittelparteien Monologe halten, dann
kommen wieder hintereinander die verschiedenen Oppostitions-
parteien. Das ist keine richtige Debatte, denn das
parlamentarische Leben, der parlamentarische Kampf be-
dingt Rede und Gegenrede. Die läßt sich nach diesem
Schema nicht führen, besonders nicht von Leuten, die nur
das Ablesen gewöhnt sind, was übrigens — ich möchte
darauf aufmerksam machen — sogar der Geschäftsordnung
des Hauses widerspricht.
(Glocke des Präsidenten.)