Full text: Verhandlungen des Reichstags. 314. Band. (314)

Reichstag. — 192. Sitzung. 
(Prinz Max von Baden, Reichskanzler.) 
(Al mit uns handelnden Bundesgenossen, habe ich in der 
Nacht zum 5. Oktober durch die Vermittlung der Schweiz 
an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von 
Amerika eine Note gerichtet, in der ich ihn bitte, die 
Herbeiführung des Friedens in die Hand zu nehmen 
und hierzu mit allen kriegführenden Staaten in Verbin- 
dung zu treten. Die Note trifft heute oder morgen in 
Walshington ein. 
Sie richtet sich an den Präsidenten der Vereinigten 
Staaten, weil dieser in seiner Kongreßbotschaft vom 
8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, 
besonders auch in seiner Neuyorker Rede vom 27. Sep- 
tember, ein Programm für den allgemeinen Frieden auf- 
gestellt hat, das wir als Grundlage für die Verhandlungen 
annehmen können. Ich habe diesen Schritt auf dem 
Wege zu der Erlösung nicht nur Deutschlands und seiner 
Verbündeten, sondern der gesamten, seit Jahren unter dem 
Kriege leidenden Menschheit auch deshalb getan, weil ich 
glaube, daß die auf das künftige Glück der Völker ge- 
richteten Gedanken, die Herr Wilson verkündet, sich völlig 
mit den allgemeinen Vorstellungen in Einklang befinden, 
in denen sich auch die neue deutsche Regierung und 
mit ihr die weit überwiegende Mehrheit unseres Volkes 
bewegt. 
(Bravol) 
Was mich selbst betrifft, so können meine früheren, 
vor einem anderen Hörerkreise gehaltenen Reden bezeugen, 
daß sich in der Vorstellung, die ich von einem künftigen 
Frieden hege, keinerlei Wandlung in mir vollzogen hat, 
seitdem ich mit der Führung der Reichsgeschäfte beauftragt 
worden bin. 
Was ich will, ist ein ehrlicher, dauernder Friede für 
die gesamte Menschheit, 
(Bravol) 
und ich glaube daran, daß ein solcher Friede zugleich auch 
(3) der festeste Schutzwall für die künftige Wohlfahrt unseres 
eigenen Vaterlandes wäre. 
(Bravol) 
Zwischen den nationalen und den internationalen Pflichtge- 
boten sehe ich deshalb mit Bezug auf den Frieden keinerlei 
Unterschied. Das Entscheidende liegt für mich ausschließ- 
lich darin, daß diese Gebote von allen Beteiligten mit 
derselben Ehrlichkeit als bindend anerkannt und geachtet 
werden, wie das von mir und den andern Mitgliedern 
der neuen Regierung gilt. 
(Braool) 
So sehe ich denn mit der inneren Ruhe, die mir 
mein gutes Gewissen als Mensch und als Diener unseres 
Volkes verleiht, und die sich zugleich auf das feste Ver- 
trauen zu diesem großen, treuen, jeder Hingebung fähigen 
Volk und seiner ruhmvollen Wehrmacht begründet, dem 
Ergebnis der ersten Handlung entgegen, die ich als 
leitender Staatsmann des Reichs unternommen habe. 
Wie dieses Ergebnis auch ausfallen möge: ich weiß, 
daß es Deutschland fest entschlossen und einig finden wird 
sowohl zu einem redlichen Frieden, der jede eigensüchtige 
Verletzung fremder Rechte von sich weist, als auch zu dem 
Endkampf auf Leben und Tod, zu dem unser Volk ohne 
eigenes Verschulden gezwungen wäre, wenn die Antwort 
der mit uns im Kriege stehendeu Mächte auf unser 
Angebot von dem Willen, uns zu vernichten, diktiert 
sein sollte. 
B 
(Bravol) 
Kein Zagen befällt mich bei dem Gedanken, daß 
dieses zweite Ergebnis eintreten könnte; denn ich kenne 
die Größe der gewaltigen Kräfte, die auch jetzt noch in 
unserem Volke vorhanden sind, und ich weiß, daß die 
unwiderlegliche Uberzeugung, um unser Leben als Nation 
zu kämpfen, diese Kräfte verdoppeln würde. 
Bravol) 
Sonnabend den 5. Oktober 1918. 
  
6153 
Ich hoffe aber um der gesamten Menschheit willen, daß (O) 
der Präsident der Vereinigten Staaten unser Angebot 
annimmt. Dann wäre die Tür zu einem baldigen ehren- 
vollen Frieden des Rechts und der Versöhnung sowohl 
für uns wie für unsere Gegner geöffnet. 
(Lebhaftes Bravo bei den Mehrheitsparteien. — 
Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten: 
Amnestie!) 
Präsident: Meine Herren, die hochbedeutsamen po- 
litischen Ausführungen des Herrn Reichskanzlers werden 
Gegenstand eingehender Erörterungen in unseren nächsten 
Sitzungstagen sein. Aber zum Friedensangebot unserer 
neuen Regierung an den Präsibenten der Vereinigten 
Staaten Nordamerikas gestatten Sie mir schon jetzt ein 
kurzes Wort. 
Friede — welch tröstliches, hoffnungsvolles Wort 
nach dem fürchterlichen blutigen Ringen von mehr als 
4 Jahren! Es würde eine Erlösung bedeuten für die 
ganze Menschheit. Die Frauen und Kinder in der Heimat 
werden, wenn auch unter Thränen, sich freuen und unsere 
Soldaten werden die Rückkehr in die Heimat begrüßen, 
wenn sie in hartem Kampfe einem wirklichen Frieden der 
Verständigung die Wege geebnet haben, der allein die 
Garantie der Dauer in sich trägt. 
(Sehr richtig! und Bravol) 
Das deutsche Volk blickt mit Stolz auf sein kampf- 
erprobtes Heer, auf seine tapfere Marine, die seit nunmehr 
über 4 Jahren unser Vaterland gegen seindliche Über- 
macht verteidigen. 
(Bravol) 
Das deutsche Volk beklagt tief und empfindet aufs 
schmerzlichste die schweren Opfer, die um Deutschlands 
willen nicht nur im gFelde, sondern auch in der Heimat 
haben gebracht werden müssen. Aber ebenso wie jeder 
einzelne Soldat an der Front, so ist auch jeder Deutsche 
daheim bereit, für das Vaterland, wenn es gefordert 
werden sollte, jedes - bringen. 
avo! 
vol) 
Möchten indessen solche Opfer uns erspart bleiben! Denn 
das deutsche Volk wünscht nicht den Krieg, sondern den 
Frieden. Ebenso wie alle anderen Völker sehnt es den 
Frieden herbei, der diesem furchtbaren Blutvergießen ein 
Ende bereitet. Deshalb begrüßen wir den uns heute 
mitgeteilten Schritt der Regierung, der uns eine, wenn 
auch noch unbestimmte Aussicht auf den Frieden eröffnet. 
Und im Namen des deutschen Volkes und des Reichstags, 
dessen große Mehrheit mit diesem bedeutungsvollen 
Schritte der Regierung einverstanden ist, erkläre ich, daß 
wir das Friedensangebot billigen und uns zu eigen 
machen. 
(Lebhafter Beifall.) 
Meine Herren, ich glaube, annehmen zu dürfen, daß 
die Fraktionen nunmehr zunächst das Bedürfnis haben, 
sich in einem Meinungsaustausch über die Rede des Herrn 
Reichskanzlers in den Fraktionen selbst zu unterhalten. 
Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, sich zu vertagen 
und dem Präsidenten die Ermächtigung zu erteilen, die 
neue Sitzung alsbald anzuberaumen, sobald die Verhält- 
nisse es gestatten. 
(Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Ab- 
geordnete Haase (Königsberg). 
Haase (Königsberg), Abgeordneter: Meine Herren, 
namens meiner Fraktion widerspreche ich dem Vorschlage 
des Herrn Präsidenten. Ich beantrage, die Debatte über 
die Erklärung des Herrn Reichskanzlers zu eröffnen und 
zu diesem Zwecke eine Sitzung für den nächsten Montag 
anzuberaumen. Das Waffenstillstandsangebot und das 
Ersuchen um Einleitung sofortiger Friedensverhandlungen 
.— 
D)
	        
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