Reichstag. — 192. Sitzung.
(Prinz Max von Baden, Reichskanzler.)
(Al mit uns handelnden Bundesgenossen, habe ich in der
Nacht zum 5. Oktober durch die Vermittlung der Schweiz
an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika eine Note gerichtet, in der ich ihn bitte, die
Herbeiführung des Friedens in die Hand zu nehmen
und hierzu mit allen kriegführenden Staaten in Verbin-
dung zu treten. Die Note trifft heute oder morgen in
Walshington ein.
Sie richtet sich an den Präsidenten der Vereinigten
Staaten, weil dieser in seiner Kongreßbotschaft vom
8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen,
besonders auch in seiner Neuyorker Rede vom 27. Sep-
tember, ein Programm für den allgemeinen Frieden auf-
gestellt hat, das wir als Grundlage für die Verhandlungen
annehmen können. Ich habe diesen Schritt auf dem
Wege zu der Erlösung nicht nur Deutschlands und seiner
Verbündeten, sondern der gesamten, seit Jahren unter dem
Kriege leidenden Menschheit auch deshalb getan, weil ich
glaube, daß die auf das künftige Glück der Völker ge-
richteten Gedanken, die Herr Wilson verkündet, sich völlig
mit den allgemeinen Vorstellungen in Einklang befinden,
in denen sich auch die neue deutsche Regierung und
mit ihr die weit überwiegende Mehrheit unseres Volkes
bewegt.
(Bravol)
Was mich selbst betrifft, so können meine früheren,
vor einem anderen Hörerkreise gehaltenen Reden bezeugen,
daß sich in der Vorstellung, die ich von einem künftigen
Frieden hege, keinerlei Wandlung in mir vollzogen hat,
seitdem ich mit der Führung der Reichsgeschäfte beauftragt
worden bin.
Was ich will, ist ein ehrlicher, dauernder Friede für
die gesamte Menschheit,
(Bravol)
und ich glaube daran, daß ein solcher Friede zugleich auch
(3) der festeste Schutzwall für die künftige Wohlfahrt unseres
eigenen Vaterlandes wäre.
(Bravol)
Zwischen den nationalen und den internationalen Pflichtge-
boten sehe ich deshalb mit Bezug auf den Frieden keinerlei
Unterschied. Das Entscheidende liegt für mich ausschließ-
lich darin, daß diese Gebote von allen Beteiligten mit
derselben Ehrlichkeit als bindend anerkannt und geachtet
werden, wie das von mir und den andern Mitgliedern
der neuen Regierung gilt.
(Braool)
So sehe ich denn mit der inneren Ruhe, die mir
mein gutes Gewissen als Mensch und als Diener unseres
Volkes verleiht, und die sich zugleich auf das feste Ver-
trauen zu diesem großen, treuen, jeder Hingebung fähigen
Volk und seiner ruhmvollen Wehrmacht begründet, dem
Ergebnis der ersten Handlung entgegen, die ich als
leitender Staatsmann des Reichs unternommen habe.
Wie dieses Ergebnis auch ausfallen möge: ich weiß,
daß es Deutschland fest entschlossen und einig finden wird
sowohl zu einem redlichen Frieden, der jede eigensüchtige
Verletzung fremder Rechte von sich weist, als auch zu dem
Endkampf auf Leben und Tod, zu dem unser Volk ohne
eigenes Verschulden gezwungen wäre, wenn die Antwort
der mit uns im Kriege stehendeu Mächte auf unser
Angebot von dem Willen, uns zu vernichten, diktiert
sein sollte.
B
(Bravol)
Kein Zagen befällt mich bei dem Gedanken, daß
dieses zweite Ergebnis eintreten könnte; denn ich kenne
die Größe der gewaltigen Kräfte, die auch jetzt noch in
unserem Volke vorhanden sind, und ich weiß, daß die
unwiderlegliche Uberzeugung, um unser Leben als Nation
zu kämpfen, diese Kräfte verdoppeln würde.
Bravol)
Sonnabend den 5. Oktober 1918.
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Ich hoffe aber um der gesamten Menschheit willen, daß (O)
der Präsident der Vereinigten Staaten unser Angebot
annimmt. Dann wäre die Tür zu einem baldigen ehren-
vollen Frieden des Rechts und der Versöhnung sowohl
für uns wie für unsere Gegner geöffnet.
(Lebhaftes Bravo bei den Mehrheitsparteien. —
Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten:
Amnestie!)
Präsident: Meine Herren, die hochbedeutsamen po-
litischen Ausführungen des Herrn Reichskanzlers werden
Gegenstand eingehender Erörterungen in unseren nächsten
Sitzungstagen sein. Aber zum Friedensangebot unserer
neuen Regierung an den Präsibenten der Vereinigten
Staaten Nordamerikas gestatten Sie mir schon jetzt ein
kurzes Wort.
Friede — welch tröstliches, hoffnungsvolles Wort
nach dem fürchterlichen blutigen Ringen von mehr als
4 Jahren! Es würde eine Erlösung bedeuten für die
ganze Menschheit. Die Frauen und Kinder in der Heimat
werden, wenn auch unter Thränen, sich freuen und unsere
Soldaten werden die Rückkehr in die Heimat begrüßen,
wenn sie in hartem Kampfe einem wirklichen Frieden der
Verständigung die Wege geebnet haben, der allein die
Garantie der Dauer in sich trägt.
(Sehr richtig! und Bravol)
Das deutsche Volk blickt mit Stolz auf sein kampf-
erprobtes Heer, auf seine tapfere Marine, die seit nunmehr
über 4 Jahren unser Vaterland gegen seindliche Über-
macht verteidigen.
(Bravol)
Das deutsche Volk beklagt tief und empfindet aufs
schmerzlichste die schweren Opfer, die um Deutschlands
willen nicht nur im gFelde, sondern auch in der Heimat
haben gebracht werden müssen. Aber ebenso wie jeder
einzelne Soldat an der Front, so ist auch jeder Deutsche
daheim bereit, für das Vaterland, wenn es gefordert
werden sollte, jedes - bringen.
avo!
vol)
Möchten indessen solche Opfer uns erspart bleiben! Denn
das deutsche Volk wünscht nicht den Krieg, sondern den
Frieden. Ebenso wie alle anderen Völker sehnt es den
Frieden herbei, der diesem furchtbaren Blutvergießen ein
Ende bereitet. Deshalb begrüßen wir den uns heute
mitgeteilten Schritt der Regierung, der uns eine, wenn
auch noch unbestimmte Aussicht auf den Frieden eröffnet.
Und im Namen des deutschen Volkes und des Reichstags,
dessen große Mehrheit mit diesem bedeutungsvollen
Schritte der Regierung einverstanden ist, erkläre ich, daß
wir das Friedensangebot billigen und uns zu eigen
machen.
(Lebhafter Beifall.)
Meine Herren, ich glaube, annehmen zu dürfen, daß
die Fraktionen nunmehr zunächst das Bedürfnis haben,
sich in einem Meinungsaustausch über die Rede des Herrn
Reichskanzlers in den Fraktionen selbst zu unterhalten.
Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, sich zu vertagen
und dem Präsidenten die Ermächtigung zu erteilen, die
neue Sitzung alsbald anzuberaumen, sobald die Verhält-
nisse es gestatten.
(Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Ab-
geordnete Haase (Königsberg).
Haase (Königsberg), Abgeordneter: Meine Herren,
namens meiner Fraktion widerspreche ich dem Vorschlage
des Herrn Präsidenten. Ich beantrage, die Debatte über
die Erklärung des Herrn Reichskanzlers zu eröffnen und
zu diesem Zwecke eine Sitzung für den nächsten Montag
anzuberaumen. Das Waffenstillstandsangebot und das
Ersuchen um Einleitung sofortiger Friedensverhandlungen
.—
D)