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Dichtes Gewölk umzog itzt den bisher heiteren Him-
mel. Bald verdeckten große Schnee= und Eismassen die
Erde und raubten dem fliehenden Kriegsvolke die letzten
Mittel zur Selbsterhaltung. Die ungewöhnlich früh ein-
getretene Kälte (das reaumürische Thermomcter zeigte
acht bis zehn Grad unter dem Gefrierpunct) und uner-
horte Entbehrungen, Mangel des Schlafes, der Lebens-
mittel und aller Arznei, verursachte schreckhafte Krank-
heiten, allgemeine Abspannung. Tausende von Leichna-
men bezeichneten den Weg der fliehenden Kriegerhaufen.
Was dem Tode durch Frost, Hunger und Krankheit ent-
kam, schien kaum dem Schwerte des Gegners entrinnen,
noch weniger demselben Widerstand leisten zu können. Ent-
flohen war das Vertrauen auf eigenen Willen, die Hoff-
nung besserer Zukunft. Franzosen, Bayern und alle übri-
gen Verbündete verloren gemach die Banden unentbehr-
licher Disciplin. Tausende von Elenden blieben auf bei-
den Seiten der großen Straße oder auf den verlassenen
Lagerplätzen aus Ermattung zurnck; tausend Andere ver-
ließen die Hauptwege und fanden auf Nebenstraßen, statt
Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse, Tod oder
Gefangenschaft. Noch verderblicher wirkten der Mangel
an Nahrung und Obdach, die fürchterliche Kälte, auf die
abgematteten Rosse. Nicht allein daß deren unzählige
Leichname die Straßen bedeckten, versagten auch die noch
Lebenden weiteren Dienst. An jeder kleinen Anhbhe mußte
dem nachfolgenden Feind Geschütz überlassen werden.
Trotz allen diesen furchtbaren Erscheinungen erhielt
sich Napoleons Selbstvertrauen. Zwar mag er zwei-
felhaft über den Zustand gewesen sepn, in welchem sein
Heer in Smolensk, dem augenblicklichen Ziele seines
Rückzuges, ankommen würde; aber daß es auf längere
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