8 Vogel, das Staatsrecht des Königreichs Bayern. 5 1.
Ausbildung des landständischen Wesens, welches in Bayern einen Grad von Macht und Be-
deutung erlangt hat, wie nicht leicht in einem deutschen Territorium #). Allgemeine Landesversamm-
lungen sind schon aus der Zeit des alten Stammesherzogthums bekannt und auch nach dessen Er-
neuerung im 10. Jahrhundert erscheint es als eines der wesentlichsten Rechte des Herzogs, Landtage
mit den Großen seines Sprengels zu halten, an denen namentlich die Bischöse und Grafen Theil
nahmen. Die Bedeutung dieser Landtage für die Fortbildung des Landesrechts ist eine nicht
unerhebliche. Ihre Wirksamkeit läßt sich mit voller Sicherheit bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts
verfolgen?). Zu Anfang des 14. Jahrhunderts zeigen sich zuerst in Oberbayern, dann in Nieder-
bayern die ersten Anfänge der korporativen Bildung der Landstände, wesentlich hervor-
gerufen durch finanzielle Bedürfnisse und Anforderungen der Landesherrn?). Läßt sich auch ein
geschichtlicher Zusammenhang mit den alten Landtagen vermuthen, so sind doch die Bestandtheile
der neuen ständischen Einrichtungen zum Theile andere als jene dieser Landtage. Statt der nun-
mehr vom Herzogthume unabhängig gewordenen Bischöfe und Reichsäbte, statt der großentheils
ausgestorbenen Grafenfamilien treten Städte und Märkte zu dem Adel und zu dem übrigen
Klerus, der sich jedoch nur allmählich in diese körperschaftliche Gestaltung einfügt, hinzu. In der
geschlossenen Gesammtheit dieser Stände tritt der Begriff des Landes dem Herzog zur Seite und
oft genug gegenüber. Aus den im Zusammenhange mit den verschiedenen Landestheilungen auch
ihrerseits vielfach gespaltenen Landschaften gestaltete sich im Anfange des 16. Jahrhunderts die
einheitliche landständische Korporation des nun vereinigten Herzogthums, die dann in dem erblichen
Bunde vom 1. Februar 1514 ihren Abschluß erhielt. Im gleichen Jahre wurde von den Land-
ständen die erste gedruckte Sammlung ihrer Freibriefe (einschließlich der Bundesurkunden) ver-
anstaltet, nachdem sie einige Jahre vorher die Erlassung der in mancher Hinsicht einer modernen
Verfassungsurkunde vergleichbaren Landesfreiheitserklärung vom 11. Sept. 1508 erwirkt hatten,
die dann öfter wiederholt und verändert wurde"). Nachdem schon bei den früheren Landestheilungen
und Erbstreitigkeiten des Wittelsbacher Hauses, und noch zuletzt bei der Regelung der Individual-
succession im Jahre 1506 die Stände eine wesentliche Mitwirkung geübt, bisweilen auch die pro-
visorische Regierung eines Landestheiles geführt hatten, gelang es der vereinigten bayerischen Land-
schaft in dem Bruderstreite der Herzoge Wilhelm und Ludwig die entscheidende Rolle zu spielen,
und die Fürsten zur Führung einer gemeinsamen Regierung unter wesentlicher Mitwirlung und
Aufsicht der Stände zu bestimmen (1514). Stellt sich hier in gewisser Beziehung der Höhepunkt
der landständischen Entwickelung in Bayern dar, so andererseits auch der Wendepunkt. Unter-
stützt von der laiserlichen Gewalt suchte die nun bei der immer mehr gesicherten Einheit des Landes
immer fester wurzelnde landesherrliche Macht immer entschiedener und mit immer größerem Erfolge
das ständische Steuerbewilligungs und verwaltungsrecht, diesen Haupthebel ständischer Machtent-
wickelung in seiner Bedeutung zu vermindern. Unterstützt von der Abnahme des Gemeingeistes bei
den Ständen und deren Gleichgiltigkeit gegen die Wahrung ihrer Befugnisse, gelang es, nachdem
die Stände auf dem Landtage 1593 dem Herzog Wilhelm V. (1579—1598) die Steuern auf
zwölf Jahre bewilligt und dem von ihnen zurückgelassenen Ausschusse für die gleiche Zeit ihr
Steuerbewilligungsrecht abgetreten hatten, mehr und mehr diesen Ausschuß an die Stelle der land-
ständischen Korporationen treten zu lassen. Namentlich die für die staatliche Entwickelung Bayerns
so bedeutsame Regierung von Wilhelm's V. Sohn Maximilian I. (1598—1651) ist für dieses
Zurücktreten der ständischen Macht hinter der landesherrlichen Epoche machend. Nachdem während
seiner langen Regierungszeit die Gesammtheit der Stände nur zweimal 1605 und 1612 zusammen-
getreten war, erfolgte nur noch ein Mal unter seinem Sohne und Nachfolger Ferdinand Maria
(1651—1679) die Bernfung eines Landtages (1669). Als dieser dem von ihm bestellten Ausschusse
das Recht der Selbstergänzung und ganz allgemein, wenn auch mit Vorbehalt der Genehmigung
eines künstigen allgemeinen Landtages, die Uebung der landständischen Rechte namentlich der Steuer-
bewilligung eingeräumt hatte, letztere allerdings ausdrücklich nur für den Fall der Unthunlichkeit
der Berufung eines allgemeinen Landtages, war die Bedeutung des landständischen Wesens in
1) Ueber die Geschichte der bayerischen Landstände, vgl. die Werke von Rudhart, 2 Bde.
Heidelberg 1816, und v. Freyberg, 2 Bde. Sulzbach 1828/29, dazu v. Freyberg, Pragmat.
Gesch. d. bayer. Gesetzgebung 2c. Bd. 1. Leipzig 1836. Ferner (Rockingers) Einleitung zu
Lerchenfeld's Ausgabe der landständischen Freibriefe und die übersictliche Darstellung bei Gierke,
Deutsches Genossenschaftsrecht 1. s 543 ft 1#. doseiört auch S. 801 ff.
2) Riezler I. S. 158 ff., 730 ff., I , 167
3) Vgl. hierüber nunmehr auch Erurer * S. 507 fl.
4) Neueste Ausgabe: Die altbaierischen landständischen Freibriefe mit den Landesfreiheits-
erklärungen. Nach den officiellen Druckausgaben mit geschichtl. Einleitung und kurzem Wörter-
verzeichniß lvon Rockingerl], herausgegeben von G. Frhr. v. Lerchenfeld. München 1853.