32 VBogel, das Staalsrecht des Königreichs Bayern. 85.
des Reichs-Oberhandelsgerichtes gehörten oder durch besondere Reichsgesetze dem Reichs-
gerichte zugewiesen werden.
II. Die Entwickelung des bayerischen Staatsrechts seit 1871. Daß das
in Bayern geltende Staatsrecht in Folge des Beitritts zum Reiche im Einzelnen
die erheblichsten Abänderungen erfahren hat, ist selbstverständlich; sie
sind herbeigeführt worden theils durch die Reichsverfassung, theils nach dem in Art. 2
derselben ausgesprochenen prinzipiellen Vorzuge der Neichsgesetze vor den Landesgesetzen durch
die staatsrechtlichen Gesetze des norddeutschen Bundes, welche als Reichsgesetze in Bayern
eingeführt wurden (zumal vor Allem durch das erwähnte Gesetz vom 22. April 1871),
und spätere Reichsgesetze, theils durch hayerische Landesgesetze, die unmittelbar zur Aus-
führung von Reichsgesetzen (vor Allem der Reichsjustizgesetze des Jahres 1877) erlassen
wurden, oder den Zweck hatten, einzelne Bestimmungen bayerischer Gesetze den abweichenden
Grundsätzen des Reichsrechts anzupassen (Gesetze vom 19. Januar und 23. Februar 1872
über Abänderung des Heimathgesetzes und der Gemeindeordnungen G. B. 1871/72 S. 213 ff.,
S. 197 ff., S. 205 ff.). Dabei sind wieder manche Bestimmungen der bayerischen
Verfassungsurkunde und ihrer Beilagen durch reichsgesetzliche, welche die gleichen Gegen-
stände betreffen, aufgehoben worden, so ist die erste Verfassungsbeilage in ihren wesent-
lichsten Bestimmungen durch Art. 3 der Reichsverfassung und das Gesetz vom 1. Juni 1870
über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit geändert und
die dritte Verfassungsbeilage durch das Reichspreßgesetz vom 7. Mai 1874 ersetzt worden.
Allein auch sonst blieb die Entwickelung des bayerischen Staatslebens in den
letzten Jahren nicht stehen. Abgesehen von der entschiedenen Förderung, welche die
im Jahre 1848 begonnene Grundentlastung durch das dieselbe betreffende Gesetz
vom 28. April 1872 (G. B. 1871/72 S. 349 ff.) empfing, indem dieses in
weitem Umfang das Prinzip der zwangsweisen Ablösung einführte, ist vor
Allem zu erwähnen die schon 1865 von der Kammer der Abgeordneten angeregte
Organisation der Verwaltungsrechtspflege durch das Gesetz vom 8. August
1878 (G. u. V. B. S. 369 ff.), die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und
das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen betreffend, welches eine tiefgreifende
Veränderung der Zuständigkeit des Staatsrathes mit sich brachte.
Sodaun gelang es nach vielen vergeblichen Versuchen einer Resorm der Wahl-
ordnung für die zweite Kammer durch das Gesetz vom 21. März 1881 (G. u. V. B.
S. 103 ff.) die Abänderung einiger Bestimmungen des Gesetzes über die Wahl der
Landtagsabgcordneten vom 4. Juni 1848 betreffend, wenigstens einige der unzweifelhaften
Mängel jenes Gesetzes zu beseitigen. Die gleichzeitig durch das neue Gesetz erfolgte
Einführung der Wählerliste und der geheimen Wahl durch verdeckte Stimm-
zettel ohne Unterschrift zeigt wieder den Einfluß des Reichsrechts auf das bayerische
Staatsrecht. «
Endlich ist noch der umfassenden Gesetzgebung der letzten Jahre über das Steuer-
und Gebührenwesen zu gedenken, welche mehr oder minder eingreifende Aenderungen in
dem bestehenden Rechtszustande herbeiführte und so von großer Bedentung für die Ord-
nung des bayerischen Staatshaushaltes geworden ist. Außer den erwähnten Gesetzen
über den Malzaufschlag kommt hier namentlich eine Reihe von Gesetzen mit dem
Datum des 18. August 1879 Erbschaftsteuer, Gebührenwesen, G. u. V. B. S. 883 ff.,
903 ff.), 25. Februar 1880 (Branntweinsteueraufschlag, G. u. V. B. S. 37 ff.) und
19. Mai 1881 (Kapital-, Einkommen-, Gewerbsteuer, theilweise Aenderung des Grund-
und des Haussteuergesetzes, G. u. V. B. S. 477 ff., 441 ff., 495 ff., 657 ff.) in
Betracht.