104 Die Organisation. Die Behörden. § 31
dern auch Mißgriffe in der Verwaltungsführung.
Als Rechtsverletzungen kommen jedoch nur solche Handlungen oder Unterlassungen
in Betracht, die gegen einen in der Verfassung oder ihren Ergänzungsgesetzen enthaltenen
objektiven Rechtssatz verstoßen, insbesondere auch solche, die einen durch die Verfassungs-
gesetze direkt begründetes subjektives Einzelrecht verletzen. Mißgriffe in der Verwaltung
können die Klage nur dann begründen, wenn dieselben zu „einer schweren Gefähr-
dung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates“ geführt haben. Für beide Arten
von Tatbeständen ist die grobe Fahrlässigkeit der Wissentlichkeit gleichgestellt 1).
Da die Klage auch auf Unterlassungen gegründet werden kann, so ist der Nach-
weis der erfolgten Gegenzeichnung oder der Unterzeichnung der Urschrift einer lan-
desherrlichen Entschließung selbstverständlich keine Voraussetzung für die Klageerhe-
bung. Die Klage kann deshalb auch gegen diejenigen Minister gerichtet werden, die
bei einem beanstandeten Regierungsakte, der im Staatsministerium verhandelt wor-
den 2), nicht aktiv mitgewirkt, sondern denselben nur durch ihren Verbleib im Amte
stillschweigelnd gutgeheißen haben.
Ebensowenig ist es für die Erhebung der Klage von Bedeutung, ob der Anzu-
klagende sich noch im Amte befindet. Die Möglichkeit einer Anklage besteht auch dann
noch, wenn der ehemalige Minister ganz aus dem Staatsdienste ausgeschieden ist 3).
Das Recht zur Klageerhebung steht ausschließlich der zweiten Kam-
mer zu. Dasselbe erlischt nach Ablauf von drei Jahren seit dem Zeitpunkte, in dem die
verletzende Handlung zur Kenntnis des Landtages gekommen ist, wenn nicht vorher
wenigstens ein Beschluß gefaßt war, die Anklage in Betracht zu ziehen. Ebenso ent-
fällt das Klagerecht, wenn die als Gegenstand der Klage in Aussicht genommene Hand-
lung von der Mehrheit der zweiten Kammer gebilligt wurde 4).
Dem Beschlusse über die Klageerhebung muß ein Vorverfahren vorausgehen,
das zu seiner Einleitung eines von mindestens zehn Mitgliedern unterzeichneten An-
trages bedarf unter Angabe der Tatsachen, „auf welche die Anklage gebaut werden soll“.
Das Vorverfahren wird durch eine besondere aus mindestens sieben Personen bestehende
Kommission geleitet, der das Recht eingeräumt ist, nicht nur den Beschuldigten ein-
zuvernehmen, sondern auch sonstige ihr geeignet erscheinende Ermittelungen anzuordnen.
Der auf Klageerhebung lautende Antrag dieser Kommission wird dem Beschuldigten
zugestellt, welcher auch in der über den Antrag nicht vor Ablauf von acht Tagen statt-
findenden Beratung der Kammer nach den für die Regierungskommissäre geltenden
Vorschriften gehört werden muß 5).
Der Anklagebeschluß der Kammer erfordert die für Verfassungsänderungen vor-
geschriebenen Stimmenverhältnisse; die Zurücknahme desselben kann durch einfache
Stimmenmehrheit geschehen ).
1) Vgl. § 67 a Verf. Urk. Ein Einzelfall, in dem die Ministeranklage ausdrücklich vorgesehen
ist, findet sich im Art. 19 des Ges. über d. Oberrechnungskammer behandelt.
2) Für das außerhalb der staatsministeriellen Zuständigkeit liegende Tun oder Lassen haften
die Minister nicht solidarisch; es besteht in dieser Hinsicht auch keine besondere Haftung für den
Staatsminister.
3) Denn die Wirkung der etwaigen Verurteilung ist eine dauernde (siehe unten im Texte).
4) Verf. Urk. § 67e.
5) Ges. v. 11. Dez. 1869 J§ 1—5.
6) Verf. Urk. 3 67a Abs. 2.