Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

172 Die Organisation. Die Selbstverwaltungskörper. 8 52 
  
tretende Ausschuß kam aber nur in ganz seltenen Fällen zusammen. Die Bildung 
des Gemeinderats oder des Gerichtes erfolgte im Wege der Kooptation oder durch 
Wahl der Bürger, jedoch in allen Fällen unter Vorbehalt der Bestätigung und der nö- 
tigenfalls eintretenden Ernennung durch die Staatsbehörde. Alle Verwaltungshand- 
lungen der Gemeinden unterlagen „dem oberherrlichen Rechte der Minderung und 
Mehrung, um stets im gemeinen Einklang mit dem Staatswohl erhalten werden zu 
können“. Dementsprechend wurden die Gemeinden auch als Minderjährige 
angesehen und den für diese letzteren geltenden Vorschriften unterstellt 1). 
Der Vorsitzende des Rates oder des Gerichtes, der in den Städten die Bezeichnung 
Oberbürgermeister oder Bürgermeister führte, in den Landgemeinden Vogt genannt 
wurde, stand zugleich als der „Ortsvorgesetzte“ im Dienstverhältnis zum 
Staate zur Wahrung der „Rechte des Regenten“ und zur Durchführung der Befehle 
der vollziehenden Gewalt 2). 
Allen Gemeinden war für ihre Gemarkung das „Bannrecht“ eingeräumt, vermöge 
dessen sie unter oberherrlicher Aufsicht Vorschriften über den „Gebrauch der Liegen- 
schaften und den Gang der Gewerbsamkeit ihrer Mitglieder" aufstellen konnten, das 
„Grundrecht“, welches ihnen die Befugnis gab, beim Uebergang von Grundbesitz 
entscheidend mitzuwirken und das „Recht des Gemeindebeutels“, kraft dessen sie die 
Gemeindegenossen zur Zahlung von Umlagen verpflichten konnten. Der Vorgesetzte der 
Landgemeinden übte unter gewissen Voraussetzungen die Funktion eines Schiedsman- 
nes aus. 
Die Städte besaßen außerdem das „Marktrecht“, das „Gewerbsrecht“ und die 
„Ratsgewalt“, welche die Berechtigung zur Handhabung der Ortspolizei in unter- 
ster Instanz in sich schloß. Vor allem aber nahmen die Städte eine Sonderstellung 
hinsichtlich der Gerichtsbarkeit ein. Sie konnten, wenn sie sogenannte „kanzleisäßige 
Städte" waren, ein eigenes Stadtvogteigericht einrichten mit voller Zuständigkeit für 
die erste Instanz s3), oder es konnte ihnen wenigstens für ihre Angelegenheiten eine 
Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit unterster Instanz zugestanden werden 
(sogen. „vogteipflichtige“ Städte) ). 
Das Organ.--Edikt vom 26. Nov. 1809 hob in seiner Beilage B nicht nur den letzt- 
erwähnten Unterschied innerhalb der Städte wieder auf, sondern verwischte auch im 
übrigen den zwischen den Stadt= und Landgemeinden bestehenden Gegensatz derart, 
daß die Gesamtheit der Gemeinden tatsächlich einen einheitlichen Charakter zeigte, 
der sich nur wenig von dem eines reinen Staatsverwaltungsbezirkes unterschied. Diese 
scharfe Einordnung der Leitung des Gemeindewesens in den Organismus der Staats- 
verwaltung kam besonders drastisch in der VO. vom 5. Aug. 1816 zum Ausdruckt!), welche 
den Gemeinden hinsichtlich der Regelung der Umlagepflicht die Möglichkeit einer selb- 
ständigen und individuellen Behandlung so gut wie entzog. 
Die einzelnen Mitglie der der Gemeinden zerfielen nach den Bestimmungen 
des VI. Konstitutionsediktes vom 4. Juni 1808 in zwei große Klassen, von denen nur die 
eine, die der sogen. Ortsbürger, vollberechtigt war, während die andere, die der Schutz- 
bürger oder Hintersassen der politischen Rechte entbehrte und an den Almendnutzungen 
in der Gemeinde nur teilnehmen konnte, soweit es ihr besonders zugesichert worden. Zu 
den Schutzbürgern, für deren Aufnahme leichtere Voraussetzungen bestanden wie für 
die der Ortsbürger, zählten im Zweifelsfalle auch die Israeliten 6). 
Die durch das Organ.-Edikt vom 26. November 1809 und die sich ihm an- 
schließenden Maßregeln vorgenommene übertriebene Zentralisierung der Staatsver- 
waltung, sowie der Umstand, daß die Gemeindeorgane auf Lebensdauer bestellt waren 
und in der Regel sich nach eigener Wahl ergänzten, hatten eine gedeihliche Entfaltung 
1) II. Konst. Ed. Ziff. 11. 
2) II. Konst. Ed. § 2 a E. 
3) II. Konst. Ed. Ziff. 6. Der Vorsteher des Stadtvogteigerichtes, das aus rechtsgelehrten 
Mitgliedern zusammengesetzt war, hieß „Stadtdirektor“. 
4) Diejenigen Städte, welche solcher Begünstigungen nicht teilhaftig waren, hießen „amts- 
sässige“. 
5) Reg. Bl. Nr. 26. 
6) Vgl. d. VI. Konst. Ed. Ziff. 10; die V O. v. 1. Febr. 1809 und Ed. vom 13. Jan. 1809 Ziff. 
XVIII (Reg. Bl. Nr. VI).
	        
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