Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

174 Die Organisation. Die Selbstverwaltungskörper. 8 52 
  
Die Mitglieder des Gemeinderates wurden durch direkte Wahl seitens aller Ge- 
meindebürger berufen. Für die Wahl der Ausschüsse waren die Bürger in drei, nach 
der Steuerleistung bemessene, gleichstarke Klassen geteilt. 
3. Die unliebsamen Wirkungen, welche der durch die neue Gesetzgebung verur- 
sachte unvermittelte Uebergang zu einem auf ganz anderer Grundlage beruhenden 
System notwendigerweise im Gefolge hatte, führten in Bälde zu einem Rückschlag, 
der schon im Jahre 1833 mit dem Erlasse eines provisorischen Gesetzes beginnend, 
eine konservative Gestaltung der Gemeindeverfassung erstrebte und bis gegen Ende 
der fünfziger Jahre 1) andauerte. Hervorgehoben sei hier nur: Die allmählich vorge- 
nommene zwangsweise Einführung des an die Stelle der Gemeindeversammlung tre- 
tenden großen Ausschusses unter anderweiter, mehr auf die Steuerleistung Rücksicht 
nehmender, Klassenvertretung der Wähler, eine Verschärfung der Erfordernisse der 
Wahlberechtigung und Wählbarkeit, die Beseitigung der direkten Wahl der Gemeinde- 
ratsmitglieder und die Verschärfung des staatlichen Bestätigungsrechtes hinsichtlich 
des Vorsitzenden des Gemeinderates. 
Die Grundlagen der Gesetzgebung des Jahres 1831 blieben indessen unberührt. 
4. In eine neue Phase der Entwickelung trat die Gestaltung des Badischen Ge- 
meinderechtes jedoch mit dem Beginn der umfassenden Gesetzgebung, welche mit dem 
Jahre 1860 anhub. Die mit der Einführung der Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Gleich- 
stellung der Israeliten, Aufhebung der Verehelichungsbeschränkungen und der ander- 
weiten Fundierung der Armenpflege zusammenhängenden Verschiebungen im wirt- 
schaftlichen und sozialen Leben ließen bald manche der in der Gemeindeverwaltung 
vorhandenen Einrichtungen als veraltet erscheinen und führten vor allem dazu, für 
die größeren Städte eine andere Verfassungsgrundlage zu suchen. Entsprechend der 
liberalisierenden Tendenz der sechziger Jahre begann man zunächst mit einer wiederum 
an die Traditionen des Jahres 1831 anknüpfenden Ausdehnung der Rechte der Ge- 
meindebürger, indem man die Zuständigkeit des großen Ausschusses bei gleichzeitiger 
Beseitigung der kleinen Ausschüsse erweiterte und von neuem die Unmittelbarkeit der 
Wahl der Gemeinderatsmitglieder einführte. Hand in Hand damit ging die Beseitigung 
des Bestätigungsrechtes der Bürgermeister und die Einschränkung der staatlichen Auf- 
sichtsbefugnisse auf den übrigen Gebieten des Gemeindelebens, besonders bezüglich 
der größeren, mehr als 4000 Seelen zählenden Gemeinden 2). 
5. Aber schon wenige Jahre darnach mußte man sich mit dem Gesetz vom 24. Juni 
1874 3) dazu entschließen, für die größten Städte des Landes den Boden der alten Bürger- 
gemeinde zu verlassen und an deren Stelle die breitere Grundlage der Einwohner- 
gemeinde zu setzen, so daß von dem genannten Zeitpunkte an auch rechtlich wieder 
zwei Arten von Gemeinden sich gegenüber standen, allerdings nach wie vor mit einer 
ziemlich gleichförmigen Verfassungsorganisation. Für die unter das neue Gesetz fallen- 
den Städte wurde indessen als Gegengewicht gegen die große Erweiterung des 
Kreises der Bürgerschaft verlangt, daß die Wahl des Stadtrates nicht mehr direkt von 
der Gesamtheit der Bürger, sondern von dem aus verschiedenen Interessenkreisen her- 
vorgegangenen Bürgerausschuß, dessen Klassen zugleich anders abgestuft wurden, 
vorgenommen werden solle. Zugleich wurde, um das Gefüge der Verwaltungsorgani- 
sation zu kräftigen, die Wahl von berufsmäßig tätigen Personen in die leitenden 
Stellungen ermöglicht, der weitere individuelle Ausbau der Gemeindeverfassung durch 
Ortsstatut sowie die Heranziehung größerer Kreise zur Mitarbeit in städtischen Kom- 
missionen zugelassen; endlich erhielten die nicht dem Stadtrate angehörenden Mitglie- 
der des Bürgerausschusses, welche Stadtverordnete genannt wurden, ein besonderes 
Vertretungsorgan. 
Die neuen Vorschriften sollten zunächst nur auf die sieben größten Städte Anwen- 
dung finden; anderen Städten mit mehr als 3000 Einwohnern war die freiwillige 
Annahme derselben erlaubt 4). 
1) Vgl. provisor. Ges. v. 4. Dezemb. 1833 (Reg. Bl. S. 259); Ges. v. 3. Aug. 1837 (Reg. Bl. 
S. 300) die Gesetze v. 15. Febr. und vom 25. April 1851 (Reg. Bl. S. 329 bis 404), provisor. 
Ges. v. 6. Aug. 1852 (Reg. Bl. S. 334) und Ges. vom 3. Mai 1858 (Reg. Bl. S. 176). 
2) Ges. v. 14. Mai 1870 G.u. VOBl. S. 423. 
3) G.u. VOl. S. 337. 
4) Ges. v. 24. Juni 1874 Art. 3. Die Annahme erfolgt durch Gemeindebeschluß mit Ge- 
nehmigung des Minist. d. Innern.
	        
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