Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

8 Geschichtliche Einleitung. 84 
Gepräge verliehen hat, boten die Irrungen mit der katholischen Kirchenbehörde, welche nach 
Ablehnung des von der Regierung mit der römischen Kurie im Jahre 1859 vereinbarten Konkor- 
dates zu der Wahl desjenigen politischen Systems führten, das der Landesherr mit der berühmten 
Osterproklamation vom 7. April 1860 seinem Volke verkündete ½). 
Freiheit und Selbständigkeit der Kirchen in der Ordnung ihrer Angelegenheiten, Ausdehnung 
des Prinzips der Selbstverwaltung auch im staatlichen Leben unter gleichzeitiger Heranziehung 
bürgerlicher Elemente zur Mitarbeit in der Verwaltung staatlicher Organe, Ausbau des Rechts- 
staates durch gesetzliche Festlegung der Befugnisse der Polizeigewalt, Uebertragung der Polizei- 
strafgewalt an den Richter und Einführung einer Verwaltungsrechtspflege, Freizügigkeit und 
Gewerbefreiheit, Gleichberechtigung der Konfessionen, staatlich eingerichtete und staatlich beaufsichtigte 
Elementarschulen, staatliche Verwaltung der Stiftungen, Schutz der parlamentarischen und der 
Vereinsfreihcit, freiheitliche Ausgestaltung des politischen Wahlrechtes und der Gemeindeverfassung 
waren die Grundsätze, deren Verwirklichung die Arbeit von Männern wie Stabel, Lamey, 
Mathy, Roggen bach und Jolly gewidmet war, und die auch von der Volksvertretung 
nahezu einmütig geteilt wurden. 
Die Aenderungen, welche in den hier in Betracht kommenden fünf Jahrzehnten in der 
Berwaltungsorganisation vorgenommen wurden, bestanden einmal in der weiteren Durchführung 
des durch die Organisation des Jahres 1809 bereits anerkannten Grundsatzes der Realteilung 
der Behörden. So wurde schon in den zwanziger Jahren die bisher den Kreisdirektorien zu- 
stehende Finanzverwaltung zweiter Instanz besonderen Finanzmittelstellen der Hofdomänenkammer 
(1824) und der Steuerdirektion (1826) übertragen, zu denen in der Folge (1835) mit der Zoll- 
direktion noch eine dritte Mittelstelle hinzutrat. Durch Ministerialentschließung v. 30. März 
1852 wurde die Trennung der Justiz von der Verwaltung auch in der untersten Instanz angebahnt 
und mit VO. v. 18. Juli 1857, welche eigene Amtsgerichte schuf, die in dienstpolizeilicher 
Hinsicht den Hofgerichten und dem Justizministerium unterstellt wurden, vollendet. 
Nebenher ging das Streben nach einer Vereinfachung der Organisation, das sich in einer 
Verminderung der Zahl der Bezirksämter, Aufhebung der standesherrlichen Amtsstellen und in 
einem allmähligen Abbau der Kreisorganisation geltend machte. Nachdem die Zahl der Kreis- 
direktorien schon in der vorigen Periode auf 8, dann im Jahre 1819 auf 6 herabgesetzt wurden, 
erfolgte durch VO. v. 26. Jan. 1832 die Aufhebung dieser Direktorien und eine Neueintei- 
lung des ganzen Landes in 4 Kreise mit Kreisregierungen an der Spitze ), die im Zweifel kol- 
legialisch verhandelten. Aber auch diese Einrichtung fiel, wenn man auch manchen Versuch 
unternahm, die Kompetenzen der Regierungen weiter auszudehnen?), mit der Einführung der 
heute noch geltenden Neuorganisation vom 5. Oktober 1863, welche für das Gebiet der inneren 
Verwaltung die Mittelinstanz grundsätzlich ganz ausschaltete. 
Eine wesentliche Vereinfachung der Kultusbehörden und die Errichtung eines beson- 
deren staatlichen Oberschulrates brachte die Durchführung der auf die Rechtsstellung der Kirchen 
gerichteten Gesetzgebung. 
Der fortschreitenden Tätigkeit im Innern entsprach seit dem Wiedererwachen des nationalen 
Gedankens gegen Ende des sechsten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts eine energische För- 
derung der festeren Vereinigung der deutschen Staaten im engeren Anschluß an Preußen. 
Von diesem Gedanken war die Stellungnahme des Großherzogs auf dem Fürstentage in Frank- 
furt (1863) bestimmt ½, und in gleicher Richtung bewegte sich, wenn auch im Jabre 1866 die 
Macht der äußeren Verhältnisse das Land in das Lager Oesterreichs getrieben, die gesamte 
äußere Politik dieses Fürsten. Es sei hier nur auf das schon beim Friedensabschluß mit Preußen 
hervorgetretene Verlangen hingewiesen, Baden mit in den zu begründenden Nordbund aufzu- 
nehmen, bei scharfer Ablehnung des im Prager Frieden vorgesehenen Südbundes, auf den Wunsch 
nach Abschluß einer über die Bindung der Allianzverträge hinausgehenden Militärkonvention, auf 
die alsbald angeordnete Umgestaltung des badischen Heerwesens nach preußischem Muster, auf die 
energische Mitarbeit bei der Erneucrung und Ausgestaltung des Zollvereins und endlich auf die 
unterm 25. Mai 1869 mit dem Norddeutschen Bunde vereinbarte militärische Freizügigkeit ?). 
1) Vgl. z. Lewald, Karl Lamey, Hdbg. 1904 und H. Baumgarten, St. M. 
Jolly, Tübingen 1892. 
2) R. Bl. 1832 S. 133. 
3) Vgl. Weizel a. a. O. S. 59 f. 
4) Vgl. v. Sybel, Die Begründung des D. Reichs. Bd. II, S. 534. 
5) Vgl. über diese Zeit die ausgezeichnete auf aktenmäßiger Kenntnis beruhende Schrift von 
G. Meyer: Die Reichsgründung und das Großh. Baden, 1896; ferner v. Poschinger: 
Eigenhändige Aufzeichnungen des M.-Präs. v. Freydorf. Annal. d. Deutsch. R. 1905 Nr. 1.
	        
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