Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

202 Die Organisation. Die Selbstverwaltungskörper. § 63 
  
Charakters entkleidet waren. Eine Aenderung brachte erst die mit dem Jahre 
1860 einsetzende Entwickelung. Die rechtliche Selbständigkeit, welche das Gesetz 
vom 9. Oktober 1860 den Kirchen verlieh und die Tatsache, daß den Kirchen 
eine Berechtigung zur Mitverwaltung des kirchlichen Stiftungsvermögens einge- 
räumt wurde, machte eine schärfere Trennung zwischen den kirchlichen und welt- 
lichen Stiftungen und die Schaffung einer besonderen Organisation für ihre 
Verwaltung notwendig. Trotzdem wurde aber zunächst nur die früher in den 
Händen der Kreisregierungen gelegene Verwaltung zweiter Instanz neu geordnet, 
indem man die Aufsicht über die weltlichen Stiftungen dem Verwaltungshofe 
bezw. Oberschulrate und die über die kirchlichen Stiftungen dem kathol. Ober- 
stiftungsrat bezw. evang. Oberkirchenrat übertrug. In der Lokalinstanz dauerte 
die gemeinschaftliche Verwaltung beider Art von Stiftungen, abgesehen von den 
örtlichen Schulstiftungen, die bereits im Jahre 1864 auf die neu errichteten 
Ortsschulräte übergegangen waren, noch fort, und zwar lag dieselbe nach wie 
vor in der Hand von konfessionell getrennten und wesentlich kirchlichen Behör- 
den (kathol. Stiftungskommission, evangel. Kirchengemeinderat), die man in Er- 
manglung anderer brauchbarer Organe seitens des Staates in widerruflicher 
Weise mit der Verwaltung auch der weltlichen Ortsstiftungen betraut hatte. 
Die Beseitigung dieses Provisoriums brachte dann unter gleichzeitiger ein- 
gehender Regelung der Rechtsverhältnisse aller Stiftungen, das unterm 5. Mai 
1870 nach schwerem Kampfe gegen die Ansprüche der Kirchen zustande ge- 
kommene sogen. Stiftungsgesetz, welches bei der Verwaltung der Orts- 
stiftungen vor allem die an derselben in erster Linie interessierten Gemeinde- 
organe in den Vordergrund stellte. 
Die Trennung der kirchlichen und der weltlichen Stiftungen wurde in der 
Weise durchgeführt, daß zu den ersteren nur diejenigen Stiftungen gerechnet 
wurden, deren Vermögen zur Befriedigung der kirchlichen Bedürfnisse einer 
Religionsgemeinschaft oder zum Vorteil von Bildungsanstalten bestimmt ist, die 
nach Maßgabe der Gesetze von den Kirchen errichtet wurden. Alle anderen 
Stiftungen sollten als weltliche gelten, auch wenn zum Genuß der Stiftungs- 
erträgnisse nur die Angehörigen einer bestimmten Konfession berechtigt waren ). 
Dieser Grundsatz wurde jedoch mit voller Strenge nur auf diejenigen 
Stiftungen angewendet, die nach dem Erlaß des neuen Gesetzes entstehen, 
die sogen. „künftigen Stiftungen“. Hinsichtlich der bereits „vorhandenen“ Stif- 
tungen wurden den Ansprüchen der Kirchen gewisse Zugeständnisse gemacht, in- 
dem man einzelne, namentlich für die Armen= oder Krankenpflege bestimmte 
Stiftungen oder solche, die früher durch Vertrag oder gerichtliches Urteil als 
kirchliche anerkannt worden waren, von neuem in dieser Eigenschaft bestätigte. 
Auch ließ man die vorhandenen „gemischten“ Stiftungen, welche teils kirchlichen 
teils weltlichen Zwecken gewidmet waren, in dieser Eigenschaft unter der seit- 
herigen Verwaltung einstweilen, vorbehaltlich der Trennungsbefugnis, weiterbe- 
stehen 2). Auf die kirch lichen Stiftungen sollten nur die im Gesetze ent- 
1) 3 3 Ziff. 1 u. 2, sowie Abs. 2. § 5 des Ges. 
2) § 3 Ziff. 3 u. 4, 4 u. § 43 des Ges.
	        
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