Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

216 Die Gesetzgebung. 8 67 
  
wenn es sich um eine „durch das Staatswohl dringend gebotene Verord— 
nung“ handelt, „deren vorübergehender Zweck durch jede Verzögerung vereitelt 
würde“. 
Weitere allgemeine Beschränkungen dieses Verordnungsrechtes bestehen nicht. 
Dasselbe kann also auch bei versammeltem Landtage angewendet und kann auf 
alle Gegenstände erstreckt werden, selbst auf die Aenderung verfassungsrechtlicher 
Vorschriften 1). 
Ausgeschlossen ist das Notverordnungsrecht nur zum Zwecke des Ausschrei- 
bens von Steuern, da hier für die dringenden Fälle in der Verf.-Urkunde be- 
sondere Vorschriften gegeben sind2). 
Nicht verlangt ist insbesondere auch, daß die ergangene Notverordnung dem 
Landtage sofort oder bei seinem Zusammentritt zur Genehmigung ihres In- 
haltes vorgelegt werde; ebensowenig ist die Anschauung zutreffend, daß eine 
Notverordnung spätestens mit dem Ablauf des gerade versammelten oder des 
auf ihren Erlaß folgenden Landtages ihre Wirksamkeit verliere. Dieselbe bleibt 
vielmehr solange in Kraft und zwar mit der vollen Wirksamkeit eines Gesetzes, 
als sie nicht ausdrücklich zurückgenommen ist. Auch die Tatsache, daß die von 
der Regierung nachgesuchte Zustimmung vom Landtage verweigert wird, ist an 
und für sich nicht geeignet, der erlassenen Notverordnung ihre Kraft zu ent- 
ziehen 3); die Stände haben nur das Recht, die alsbaldige Aufhebung des pro- 
visorischen Gesetzes zu verlangen, eine unmittelbar vernichtende Wirkung kommt 
mangels ausdrücklicher Bestimmung ihrem Beschlusse nicht zu 4). Wird die Not- 
verordnung von der Regierung wieder zurückgenommen, so wirkt dieser Akt 
wie die Aufhebung eines anderen Gesetzes im Zweifelsfall auf die in der Zwi- 
schenzeit erledigten Angelegenheiten nicht ein. 
2. Nicht erwähnt, weder in der Verf.-Urk. noch in einem sonstigen Gesetze 
sind die dem Landesherrn als dem Haupte der Großherzoglichen Familie zu- 
stehenden Gesetzgebungsbefugnisse, die ihre Begründung allein in einem Satze 
des Gewohnheitsrechtes finden. Wohl aber ist in dem zum Bestandteil der 
Verf.-Urk. erklärten Edikt vom 23. April 1818 in gewissem Umfange eine Sat- 
zungsgewalt der Standesherren und der ehemals reichsunmittelbaren Grundherren 
anerkannt. Eine Reihe von Spezialgesetzen verleihen außerdem den Selbstver- 
waltungskörpern in bestimmten Fällen die Befugnis zum Erlaß autonomer 
Rechtssatzungen. Hier wie dort bedarf jedoch die Ausübung der Autonomie der 
hinzutretenden Genehmigung der staatlichen Organe 5). 
1) Vgl. Anschütz, Enzykl. II S. 605 und in Gg. Meyer StR. S. 578, übereinstimmend 
Glocknera. a. O. S. 150 f.; a. A, Wielandt#.. O. S. 168. 
1 7§* 6l- v. Calker a. a. O. S. 179 f. (Erklärung des Staatsrates Nebemius auf d. Ldtg. 
843/44). 
3) And. Ans. Wielandta. a. O. S. 168 und ihm folgend (unter Bezugnahme auf eine Er- 
klärung der Regierung auf dem Landtag 1822) Glockner a. a. O. S. 150. Vgl. dagegen den 
Wortlaut des § 67 Verf. Urk. 
4) Besonders in den ersten Jahrzehnten des konstitutionellen Lebens wurden zahlreiche provi- 
sorische Gesetze erlassen, bei deren Handhabung die im Texte angeführte Praxis zur Anwendung 
kam. Eine Reihe von provisorischen Gesetzen erging auch im Jahre 1859, die dann aber im darauf- 
folgenden Jahre wieder ausdrücklich zurückgezogen wurden. 
5) Ueber die Sonderbestimmungen bezüglich der Standesherren siehe oben & 11. Ueber die 
Satzungsgewalt der Kirchen unter 148. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.